The Invisible Woman

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Eine verbotene Liebe und ein großer Star seiner Zeit: In „The Invisible Woman“ erzählt Regisseur und Hauptdarsteller Ralph Fiennes von der geheimen Affäre Charles Dickens' mit der Schauspielerin Ellen Ternan und entführt sein Publikum souverän in die Welt des 19. Jahrhunderts.

Webseite: www.theinvisiblewoman.de

GB 2013
Regie: Ralph Fiennes
Drehbuch: Abi Morgan
Darsteller: Ralph Fiennes, Felicity Jones, Kristin Scott Thomas
Länge: 111 min.
Verleih: Sony
Kinostart: 24. April 2014

FILMKRITIK:

In seiner zweiten Regiearbeit nimmt sich Ralph Fiennes erneut einem berühmten britischen Literaten an und widmet sich nach der Shakespeare-Adaption „Coriolanus“ dem Werk Charles Dickens aus einer ungewöhnlichen Perspektive. Basierend auf dem gleichnamigen biographischen Roman von Claire Tomalin erzählt „The Invisible Woman“ die Geschichte einer jungen Schauspielerin, die mit dem berühmten Schriftsteller eine Affäre eingeht.

Nelly (Felicity Jones) stammt aus einer Schauspielerfamilie, ist jedoch als einzige unter den insgesamt drei Schwestern mit wenig Talent gesegnet. Ohnehin gilt ihre größte Leidenschaft dem geschriebenen Wort, vornehmlich den Werken des zeitgenössischen Autors Charles Dickens (Ralph Fiennes), den sie zu ihrer großen Freude schließlich im Rahmen einer Theaterinszenierung persönlich kennenlernt. Dickens erwidert die Zuneigung der jungen Frau, ist jedoch verheiratet und somit in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts außerstande, sich auf eine „legitime“ Beziehung zu Nelly einzulassen. Hin- und hergerissen zwischen ihren Gefühlen und den Normen ihrer Zeit, droht Nelly an dieser Liebe zu zerbrechen.

Ralph Fiennes und Drehbuchautorin Abi Morgan erzählen die Geschichte zum Großteil aus Nellys und nur gelegentlich aus Dickens Perspektive. Charles Dickens mag im Rahmen der Handlung der Star seiner Epoche sein, doch Nelly ist es für diesen Film. Mehr als die Figur des großen Schriftstellers steht ihr Konflikt im Mittelpunkt des Konzepts. Dabei ist die in Rückblicken erzählte Handlung mit einem therapeutischen Bewältigungsprozess zu vergleichen, der Nelly schließlich Frieden finden lässt.

Die Inszenierung des 19. Jahrhunderts ist zwar rein visuell überzeugend – Ausstattung und Kostüm können sich durchaus sehen lassen – jedoch weitgehend steril. Einige Bildkompositionen wirken wie gemalt, die opulent ausstaffierten Räumlichkeiten wie Museen. „The Invisible Woman“ ist unangenehm steif. Zwar entspricht eine gewisse Zurückhaltung durchaus den Gepflogenheiten der Epoche, doch scheitert Ralph Fiennes mit seiner Inszenierung auch daran, die Leidenschaft seiner Protagonisten spürbar zu gestalten. Die Liebe zwischen Nelly und Charles Dickens bleibt lange eine Behauptung, derer sich der Zuschauer so unsicher ist, dass keine erotische oder amouröse Spannung entstehen kann. Die weibliche Heldin ergeht sich in Widersprüchen, behauptet für den Dichter nichts zu empfinden, nur um sich ihm später auf sein Drängen hin doch hinzugeben. Zu wenig gelingt es Ralph Fiennes, seinem Publikum die Gründe für Nellys Ambivalenz zu erklären, so dass ihr Verhalten, insbesondere ihre Entscheidungen für und gegen die prekäre Beziehung, schwer nachvollziehbar bleiben.

Deutlich interessanter als das recht kühle Aufeinandertreffen der Liebenden gestaltet sich die Beziehung zwischen Nelly und Dickens Frau Catherine (Joanna Scanlin). Die Szene, in der die beiden Konkurrentinnen erstmals offen über den gemeinsamen Liebhaber sprechen, gehört zu den stärksten des gesamten Films. Hier entstehen eben jene Energie und Intimität, die der romantische Plot nicht zu entfalten imstande ist. Auch darüber hinaus bleibt Catherine im Grunde die interessanteste Figur, die jedoch leider nicht nur in ihrer Ehe, sondern auch in der Filmhandlung vernachlässigt wird.

Das Potential der weiblichen Hauptfigur Nelly, eine für ihr Jahrhundert außergewöhnlich selbstbewusste und emanzipierte Heldin, weiß der Film bedauerlicher Weise nicht zu nutzen. Ihr Begehren bleibt auch für den Zuschauer weitgehend ein Geheimnis, entwickelt weder erotische noch romantische Züge. Ohne ein Gefühl vermitteln zu können bleibt der Film vor allem hübsch anzusehen. 
 
Sophie Charlotte Rieger