Als attraktiver Verführer von Emma Thompson hat Daryl McCormack in „Meine Stunden mit Leo“ nicht nur auf der Berlinale für Furore gesorgt. Nun kehrt der Ire als Hauslehrer zurück, der den Sohn eines berühmten Autors für dessen Aufnahmeprüfungen vorbereiten soll. Der Star-Schreiber entpuppt sich schnell als unsympathisches Ekel. Der Pädagoge ist zunehmend entsetzt und enttäuscht von seinem großen Idol. Dessen Gattin hat sich hilflos in ihr Schicksal gefügt. Doch hier ist nichts so, wie es scheint. Immer neue Puzzle-Stücke sorgen für smarte Suspense in diesem raffinierten Kammerspiel-Thriller. Very british - und gedreht in Hamburg! Sogar Grusel-Ikone Stephen King schwärmte vom „perfekten Thriller“.
Webseite: https://port-prince.de/en/project/the-lesson/
Deutschland / Vereinigtes Königreich 2023
Regie: Alice Troughton
Darsteller: Richard E. Grant, Julie Delpy, Daryl McCormack, Stephen McMillan
Länge: 103 Minuten
Verleih: Port au Prince Pictures
Kinostart: 26. Oktober 2023
FILMKRITIK:
„Gute Autoren leihen sich etwas, große Autoren stehlen“, das behauptet der erfolgreiche Star-Schriftsteller J.M. Sinclair (Richard E. Grant) immer wieder gerne. Dass es sich dabei um ein Zitat von T. S. Eliot handelt, unterschlägt der eitle Künstler natürlich. Der berühmte Autor entpuppt sich schnell als echtes Ekel, unter dem Ehefrau Hélène (Julie Delpy) und Sohn Bertie (Stephen McMillan) gleichermaßen leiden. Damit der Teenager seine Aufnahmeprüfung an der Elite-Uni schafft, wird der junge Literaturwissenschafter Liam (Daryl McCormack) als Hauslehrer engagiert. Für ihn ist Sinclair das ganz große Idol, über das er seine Abschlussarbeit in Oxford geschrieben hat. Und den er gerne als Mentor für seinen Debüt-Roman gewinnen würde. Tatsächlich gelingt es Liam, den arroganten Schreiber überraschend schnell für sich zu gewinnen, nicht zuletzt wegen seinem fotografischen Gedächtnis sowie seiner Fähigkeiten im Umgang mit Computern, wovon Sinclair herzlich wenig Ahnung hat. Der zunächst trotzige Schüler lernt gleichfalls seinen neuen Lehrer zu schätzen, von der vernachlässigten Gattin ganz zu schweigen. Zugleich ranken sich immer mehr Rätsel um den mysteriösen Tod des älteren Sohnes Felix.
Aufgeteilt in Kapitel, wie es sich bei einem Krimi um einen Schriftsteller gehört, wird das raffinierte Puzzle um gut gehütete Familiengeheimnisse, gekränkte Eitelkeiten, Betrügereien sowie Rachegelüste immer mehr zusammengesetzt. Weshalb wird Liam das Schwimmen im kleinen See verboten? Weshalb klingt der neue Roman von Sinclair so ganz anders als die anderen? Was steckt hinter der freundlichen Fassade des Butlers? Welche Pläne schmiedet die vermeintlich so hilflose Gattin tatsächlich? Ständig tun sich neue Fragen und Abgründe auf. Falsche Fährten werden gelegt. Aha- und Achso-Effekte wechseln sich ab. Derweil allerlei Wendungen dafür sorgen, dass der Spannungs-Strom nie abreißt.
Die plausibel entwickelten Figuren werden von einem großartigen Schauspiel-Quartett glaubhaft verkörpert. Allen voran Richard E. Grant, der den sarkastischen Literatur-Star so genüsslich zelebriert wie einst seine Paraderolle im 90er Jahre-Kultfilm „Withnail and I“. Dass Daryl McCormack von einem Branchenblatt zureckt zu einem der „Stars of Tomorrow“ gekürt wurde, stellt er hier als charismatischer Sympathieträger eindrucksvoll unter Beweis. Derweil die stets verlässliche Julie Delpy ihren sichtlichen Spaß an dieser Rolle als geheimnisvolle Kunstkuratorin hat.
Von Erstlingsautor Alex MacKeith und Regisseurin Alice Troughton, die bislang TV-Serien inszenierte, dürfte nach diesem gelungenen Kino-Coup noch einiges zu erwarten sein. Immerhin adelte sie sogar Suspense-Papst Stephen King auf Twitter mit dem Prädikat „Der perfekte Thriller“.
Dieter Oßwald