The Lost King

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Der gute alte Stephen Frears. Auch mit 81 Jahren bleibt der Brite seinem Ruf als grandioser Geschichtenerzähler treu (ganz im Unterschied zu seinen einsilbigen Interviews, deren berüchtigte Wortkargheit längst legendär ist). Da die besten Geschichten bekanntlich das Leben schreibt, geht es hier um wahre Story jener eigensinnigen Frau, die sich anno 2012 in den Kopf gesetzt hat, die verschollenen Überreste von König Richard III zu finden. Wie Don Quichotte kämpft die Hobby-Archäologin unverdrossen gegen die Windmühlen eitler Wissenschaft. Und findet prompt die berühmten Gebeine – unter einem banalen Parkplatz! So situationskomisch wie gefühlsecht entwickelt Frears sein Drama mit angenehmer Leichtigkeit sowie reichlich Herzenswärme. Wann gab es jemals einen leibhaftigen König als underdog? Wäre die Queen amused gewesen? King Richard III allemal! Das Publikum sowieso, wie bei fast jedem Frears.

Großbritannien 2022
Regie: Stephen Frears
Darsteller: Sally Hawkins, Steve Coogan, Harry Lloyd
Länge: 108 Min.
Vertrieb: Warner Bros. Entertainment
Verleih: X Verleih AG
Kinostart: 05. Oktober 2023

FESTIVALS: Filmfestival Toronto 2022

Webseite: https://www.x-verleih.de

FILMKRITIK:

„Ich fühle mich voller Energie und glücklich!“ erklärt Philippa (Sally Hawkins) stolz ihrem verblüfften Noch-Ehemann John (Steve Coogan). Aktuell ist ihr Leben kein Ponyhof: Beim Job wird sie eiskalt übergangen. Die beiden Teenager-Söhne brauchen die Mutter kaum noch. Und die Scheidung drückt gleichfalls aufs Gemüt. Doch wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein König daher. Eine Shakespeare-Aufführung von „Richard III“ weckt spontan die Leidenschaft der Heldin für den ungeliebten Monarchen. War dieser König tatsächlich jener Kindermörder, als den ihn die Geschichte darstellt? Hatte er tatsächlich einen Buckel und sah so unwirsch aus, wie auf den offiziellen Gemälden? Oder ist alles nur Fake-News? Die Rache der Tudors, um den ungeliebten Vorgänger in möglichst schlechtem Licht darzustellen, Shakespeare-Stück inklusive?

Philippa hat fortan eine Mission: Sie will der Wahrheit auf die Spur kommen. Mehr noch: Auch die verschollenen Gebeine des Monarchen möchte sie finden. Welches Buch über Richard III sie denn möchte, fragt die Buchhändlerin. „Alle“ lautet die entschiedene Antwort der frisch gebackenen Hobbyarchäologin. Dass ihr der König zudem leibhaftig erscheint, bestärkt sie in ihrem Unternehmen. Allein die etablierte Wissenschaft reagiert argwöhnisch und ablehnend auf die Vision der Amateurin. Sponsorengelder und ein glücklicher Zufall lassen den Plan unerwartet schnell zur Wirklichkeit werden: Auf einem unscheinbaren Parkplatz der Stadt Leicester wird mit Baggern nach den Gebeinen des schillernden Regenten gesucht. Zunächst vergeblich. Doch dann folgt der Fund und anno 2012 eine kleinen Weltsensation. Die Federn von Ruhm und Ehre stecken sich sofort die eitlen Wissenschaftler an den Hut. Für Philippa bleiben als Finderlohn nur Vorträge in Grundschulen. Erst viel später erhält sie eine Auszeichnung durch die Queen. Sowie dieses filmische Denkmal.

Regie-Routinier Frears spielt mit gewohnter Souveränität und angenehmer Leichtigkeit auf der Klaviatur eines zu Herzen gehenden Außenseiter-Dramas - selbst ein leibhaftiger König tritt hier als bemitleidenswerter underdog auf! Musikalische Unterstützung gibt es vom oscarprämierten Komponisten Alexandre Desplat, dessen ausgefeilter Score bisweilen ebenso an Hitchcock erinnert wie jener hübsche Titelvorspann zum verspielten Auftakt. Die vielfach prämierte Sally Hawkins kämpft als Hobby-Archäologin so umwerfend charmant gegen Windmühlen wie einst als verzweifelte Fahrschülerin in Mike Leighs „Happy-Go-Lucky“. Mit ähnlicher Lässigkeit agiert der imaginäre König, gespielt vom „Games of Thrones“-Mimen Harry Lloyd, immerhin ein direkter Nachfahre von Charles Dickens. Wie jener Klassiker der Gesellschaftskritik erweist sich auch der einstige „angry young man“ Stephen Frears als großartiger Beobachter kleiner Leute. Zeigt die Ungerechtigkeiten des Lebens auf - vor denen selbst ein Monarch nicht gefeit ist! Statt auf Zeigefinger und Predigt setzt der Kino-Veteran einmal mehr auf das, was im Kino immer bestens funktioniert: Auf Leichtigkeit sowie Humor der britischen Art.

Dieter Oßwald