The Old Oak

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Vielleicht der letzte Film in der außerordentlichen Karriere des englischen Regisseurs Ken Loach – und leider nicht sein bester. „The Old Oak“ bearbeitet typische Loach-Themen, erzählt von der Arbeiterklasse, von Solidarität, vom Überwinden der Klassenschranken. Im Gegensatz zu seinem brillanten „I, Daniel Blake“ erweist sich Loach hier jedoch als allzu sentimentaler Chronist, auch wenn die Geschichte auf wahren Ereignissen basiert.

Großbritannien 2023
Regie: Ken Loach
Buch: Paul Laverty
Darsteller: Dave Turner, Ebla Mari, Claire Rodgerson, Trevor Fox, Chris McGlade, Col Tait, Jordan Louis, Chrissie Robinson, Chris Gotts, Jen Patterson

Länge: 113 Minuten
Verleih: Wild Bunch
Kinostart: 23. November 2023

FILMKRITIK:

The Old Oak, die alte Eiche, der Name eines typisch englischen Pubs irgendwo im Nordosten des Landes. Hinter dem Tresen steht tagein, tagaus Tommy Joe Ballantyne (Dave Turner), genannt TJ, zapft für seine Stammgäste Bier, hört sich mit gewisser Distanz die Sorgen der meist aus der Arbeiterklasse stammende Gäste an, denen es in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht allzu gut geht.

Wenn da Migranten aus Syrien in die Kleinstadt kommen, die scheinbar ohne Grenzen Sach- und Geldzuwendungen vom Staat erhalten, weckt das Neid und Aversion. Gleich bei der Ankunft der Flüchtling wird so die Kamera der jungen Yara (Ebla Mari) beschädigt, und auch wenn TJ weiß, wer der Täter war, mag er ihn nicht verraten. Ein wenig Schuldgefühl trägt also dazu bei, dass TJ Yara anbietet, ihre Kamera zu reparieren, was der Beginn einer ungewöhnlichen Freundschaft ist.

Während manche Besucher seines Pubs wenig begeistert davon sind, dass ihr ihnen angeblich zustehendes Revier nun auch von Syrern besucht wird, findet TJ, der nach dem Tod seiner Frau ganz allein durchs Leben geht, plötzlich eine neue Aufgabe. Im Hinterzimmer seines Pubs fanden früher Versammlungen der Bergarbeiter statt, wurde Solidarität gelebt. Nun wird dieser Raum wiederbelebt für Treffen an denen sowohl alte, als auch neue Bewohner der Ortschaft teilnehmen können, durch die eine Brücke zwischen Engländern und Syrern geschlagen werden soll. Ein ambitioniertes Projekt, das nicht allen Bewohnern der Stadt schmeckt.

Menschen, die gegen das System kämpfen, die das Herz am richtigen Fleck tragen und sich auch von noch so haarsträubenden Ungerechtigkeiten nicht unterkriegen lassen. Von solchen Menschen hat Ken Loach im Lauf seiner Karriere oft erzählt, hat manchmal beschrieben, wie sie kleine Erfolge feiern, aber zuletzt in „I, Daniel Blake“ auch gezeigt, wie sie an einem zunehmend kalten, technokratischen System zugrunde gehen können. Dieser Film, für den Loach seine zweite Goldene Palme bekam, wurde vor einigen Jahren stark kritisiert, vielleicht auch, weil er in einem besonders starken Jahrgang in Cannes lief, in dem etwa Maren Ades „Toni Erdmann“ komplett leer ausging. Doch sentimental und simpel war an „I, Daniel Blake“ nichts, im Gegenteil. Schonungslos und konsequent zeigte Loach den Kampf seines tragischen Helden, eine Härte, die er nun, in seinem vielleicht letzten Film, vermissen lässt.

Zwar wird auch TJ als komplexe, auch ambivalente Figur geschildert, als Mann mit Ecken und Kanten, mit Stärken, aber auch mit Schwächen. Das dieser Mann hilfsbereit agiert glaubt man gern, dass er wenig Verständnis für den latenten Rassismus mancher seiner Gäste hat ebenfalls. Doch wie simpel sich am Ende die Stimmung im Ort umkehrt, wie leicht es fällt, das aus Misstrauen Unterstützung wird, wirkt doch allzu rosig. Dem Kern dieser Botschaft kann man sich natürlich nicht entziehen, man würde sich wünschen, dass das Zusammenleben von Alteingesessenen und Flüchtlingen überall – ob in England oder in Deutschland – so harmonisch verläuft, wie es Ken Loach am Ende imaginiert. Doch dass die Realität eine andere ist, lässt „The Old Oak“ wie eine allzu schöne Phantasie wirken, die um einiges von dem Sozialrealismus entfernt ist, der Loach 60 Jahre lang ausgezeichnet hat.

 

Michael Meyns