The Second Life

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Tiere präparieren, tote Körper lebensecht aufzubereiten. Ein seltsamer Beruf? Oder einer, der helfen kann, sich der fragilen Natur bewusst zu werden, scheinbar existierende Barrieren zwischen Mensch und Tier zu überwinden? In seinem essayistischen Dokumentarfilm „The Second Life“ porträtiert Davide Gambino drei Menschen und ihren Beruf, der weit weniger seltsam ist, als es auf den ersten Blick scheinen mag.

Website: https://www.thesecondlife-film.com/

Belgien/ Deutschland/ Italien 2020
Regie & Buch: Davide Gambino
Dokumentarfilm
Länge: 82 Minuten
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 21.04.2022

FILMKRITIK:

Sie arbeiten für die Naturkundemuseen in Rom, Berlin und Brüssel: Die drei Präparatoren Maurizio Gattabria, Robert Stein und Christophe de Mey die im Mittelpunkt von Davide Gambinos Dokumentarfilm „The Second Life“ stehen. Persönlich kennt sich das Trio noch nicht, auch wenn sie Teil eines kleinen Berufsstandes sind, in dem nicht allzu viele Spezialisten arbeiten. Erst am Ende des Films werden sie sich treffen, bei der europäischen Meisterschaft der Taxidermisten, wie der Beruf des Tierpräparators im angelsächsischen Raum heißt.

Der Deutsche Robert Stein hat schon oft an den Meisterschaften teilgenommen und häufig gewonnen. Er ist auf Modelle von Vögeln spezialisiert, die er mit größter Präzision in lebendigen Posen auf Ästen oder Bäumen zeigt. Der Italiener Maurizio Gattabria ist der älteste des Trios und steht kurz vor dem Ruhestand. In den weitläufigen Räumen des Naturhistorischen Museen in Rom ist er im Laufe seines Arbeitsleben immer wieder auf alte Modelle gestoßen, in denen seine beruflichen Vorfahren oft kleine Botschaften versteckt hatten, die vom Leben der Tiere erzählten, die dann ausgestopft wurden.

Der dritte im Bunde ist auch der jüngste und unerfahrenste. Dennoch versucht sich der Belgier Christophe de Mey gleich am Modell eines Affens, den er mitten in einer Schwingbewegung zeigen möchte.

Gemeinsam ist den drei Präparatoren die Überzeugung, dass ihre Arbeit dazu beitragen kann, den Menschen etwas über die Natur zu erzählen, ihnen Tiere zu zeigen, die in freier Wildbahn oft kaum noch zu beobachten sind, da der Mensch immer mehr Raum einnimmt, Wälder abgeholzt werden, Autobahnen Felder durchschneiden. Die in prächtigen Dioramen ausgestellten Tierpräparate sind somit oft die einzige Möglichkeit, seltene Tiere zu zeigen.

Doch was bedeutet es, wenn ein Tier möglicherweise nie in freier Wildbahn gelebt hat? Hier setzt Davide Gambinos Versuch an, seinen Film zu mehr zu machen, als nur einer Dokumentation über drei Tierpräparatoren. 4.2 Milliarden Tierarten sind vom Aussterben bedroht informiert eine Texttafel zu Beginn, Arten, die bald vielleicht nur noch durch ausgestopfte Modelle sichtbar sein werden. Der von Katharina Thalbach gesprochene Voice Over-Kommentar imaginiert nun die Gedanken solch eines Tieres, genauer gesagt die des Orang-Utans Petronilla, die von 1970-2015 im Zoo von Rom lebte. Ihre eigentliche Heimat, den Dschungel von Borneo, hat dieses Orang-Utan-Weibchen nie gesehen, nun ist sie ein Tiermodell in einer künstlichen Landschaft, die an den Urwald erinenrt, den sie nie selbst erlebt hat.

Petronilla ist der Film gewidmet, ihr „Kommentar“, ihre „Gedanken“ durchziehen den Film und versuchen – mal mehr, mal weniger überzeugend – die Arbeit der Präparatoren in einen größeren Kontext zu stellen. Vom Mensch und seiner Zerstörungskraft soll hier erzählt werden, vom Artensterben, das Tag für Tag voranschreitet, vom Verhältnis des mächtigsten Wesens der Erde, dass in dieser Ära, die seit einigen Jahren als Anthropozän bezeichnet wird, die Erde prägt wie nichts anderes. Ambitioniert ist dieser Ansatz gewiss und schafft es oft, vielschichtige Fragen aufzuwerfen, die noch lange nachhallen.

Michael Meyns