Einer der spektakulärsten, überraschendsten, aber auch umstrittensten Filme, die 2024 im Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes gezeigt wurden, war Coralie Fargeats Body-Horror-Exzess „The Substance.“ Clever und hintersinnig besetzt, vielleicht auch mit einem Funken Zynismus, spielt Demi Moore die Hauptrolle in einer Reflexion über Schönheitswahn und Anpassungsdruck, der ein blutiges, überbordendes Ende nimmt.
F/ USA/ GB 2024
Regie & Buch: Coralie Fargeat
Darsteller: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid, Hugo Diego Garcia, Phillip Schurer, Joseph Balderrama, Oscar Lesage
Länge: 140 Minuten
Verleih: MUBI
Kinostart: Herbst 2024
FILMKRITIK:
In der normalen Welt ist 50 vielleicht kein Alter, in Hollywood allerdings eine Katastrophe. Kurz nach ihrem 50. Geburtstag erfährt die passend heißende Elisabeth Sparkle (Demi Moore) dann auch, dass ihre Karriere vorbei ist. Einst hatte die Schauspielerin sogar den Oscar gewonnen und einen Stern auf dem Pflaster des Hollywood Boulevard bekommen, von diesen Höhen war sie ohnehin schon hinabgestiegen und hatte mit hyper-sexualisierten Aerobic-Sendungen im Jane Fonda-80er-Jahre-Gedächtnislook Erfolge gefeiert.
Doch auch damit ist es nun vorbei, Frischfleisch muss her, wie der wenig subtile Produzent Harvey (!) (Dennis Quaid) es formuliert. Kein Wunder also, dass Elisabeth der Versuchung nicht widerstehen kann, als ihr ein Unbekannter den Hinweis auf The Substance gibt, einer Wunder versprechenden Verjüngungskur. In einer finsteren Gasse erhält Elisabeth ihr Paket und setzt sich die Nadel. Mit dem Ergebnis, dass sich ihr nackter Körper öffnet und eine jüngere, schönere Version ihrer selbst aus ihr heraussteigt: Sue (Margaret Qualley) ist knackiger, ehrgeizig und überzeugt Harvey so sehr, dass er auch ihre ungewöhnliche Bedingung als Nachfolgerin bei der Aerobic-Show akzeptiert: Nur alle zwei Wochen kann Sue vor der Kamera stehen, denn sie und Elisabeth sind nicht etwa zwei Wesen, sondern ein Organismus. Und wenn der eine Teil nicht regelmäßig Pause macht und den anderen leben lässt, dann hat das katastrophale Folgen.
In grellem Licht der kalifornischen Sonne inszeniert Coralie Fargeat ihre vollkommen durchgedrehte, überdrehte Satire mit der sie Demi Moore die mit Abstand interessanteste, komplexeste Rolle ihrer Karriere schenkt. Dass Moore selbst 60 Jahre alt ist, hier aber eine 50jährige spielt, dass Moore selbst dafür bekannt ist, im Lauf der Jahre immer wieder die Arbeit von Schönheitschirurgen in Anspruch genommen zu haben macht sie zur idealen Besetzung einer Frau, die gegen den unweigerlichen Lauf der Zeit und die immer noch geltenden Gesetze des Showbusiness ankämpft.
Besonders clever dabei: Nicht allein die männlichen Bosse werden als geifernde Sexisten dargestellt, die nach jungen, unverbrauchten, festen Körpern lechzen. Vielmehr ist es Elisabeths Alter Ego, ihr jüngeres Selbst Sue, die bewusst die Regeln bricht und nach einer Woche nicht den Staffelstab an Elisabeth übergibt. Mehr als ein Hauch von Dorian Gray weht hier durch „The Substance“, allein die zunehmende Zerstörung des Gemäldes, das Dorian Gray auf dem Dachboden versteckt, zeigt sich hier an Elisabeth, die umso mehr verfällt, je mehr Lebenszeit ihr Sue quasi stiehlt.
Auch wenn „The Substance“ mit 140 Minuten eine ganze Spur zu lang geraten ist, nicht alle Ideen und Allegorien durchdacht wirken: Mit welcher Härte Coralie Fargeat ihren Ansatz zu seinem konsequenten Ende führt kann nur beeindrucken. Voller Wut auf das System des Schönheitswahns inszeniert sie einen am Ende blutrünstigen Exzess, der nichts für schwache Nerven ist. Ein bemerkenswerter Film, bei dem Lachen und Ekel gleichermaßen im Halse stecken bleiben.
Michael Meyns