The United States vs. Billie Holiday

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Sie lebte ein ebenso faszinierendes wie tragisches Leben: Billie Holiday, eine der bedeutendsten Sängerinnen des Jazz – und in den Augen des weißen Establishments im Amerika der 40- und 50er Jahre eine Gefahr für die nationale Sicherheit. All das ist Thema des gleichermaßen mitreißenden wie überfrachteten Biopics „The United States vs. Billie Holiday“ von Lee Daniels. Die Sängerin Andra Day - ihr Song "Rise Up", den sie bei der Amtseinführung des US-Präsidenten Joe Biden live aufführte, war 2017 zu einer inoffiziellen Hymn der "Black Lives Matter"-Bewegung geworden - spielt hier ihre erste Hauptrolle und überzeugt mit enormer Präsenz. Dafür wurde sie mit dem Golden Globe 2021 ausgezeichnet.

USA 2020
Regie: Lee Daniels
Buch: Suzan-Lori Parks nach dem Sachbuch „Chasing the Scream“ von Johann Hari
Darsteller: Andra Day, Trevante Rhodes, Garrett Hedlund, Leslie Jordan, Miss Lawrence, Adriane Lenox, Natasha Lyonne, Rob Morgan,
Länge: 130 Minuten
Verleih: Wild Bunch/ Central
Kinostart geplant: 1. April 2021

FILMKRITIK:

Das erste Bild von Lee Daniels „The United States vs. Billie Holiday“ ist die historische Aufnahme eines Lynchmordes, das letzte die Information das auch im Jahre 2021 ein Gesetz, dass diese entsetzliche Form des amerikanischen Rassenhasses verbietet, immer noch nicht vom Senat verabschiedet und damit Gesetz ist.

Auf den ersten Blick mag das Thema Lynchmorde ein seltsamer roter Faden für einen biographischen Film über die legendäre Jazz-Sängerin Billie Holiday sein, auf den zweiten macht es Sinn. Denn 1939, ungefähr zur Hälfte ihres nur 44 Jahre kurzen Lebens, nahm Holiday einen ihrer erfolgreichsten Songs auf: „Strange Fruit“ eine wütende Anklage der Lynchjustiz, der Anfang der 40er Jahre so populär war, dass J. Edgar Hoover, berühmt-berüchtigter Präsident des FBI, um die nationale Sicherheit fürchtete. So wie es Lee Daniels erzählt, schreckte Hoover vor nichts zurück, um Holiday außer Gefecht zu setzen. Das Singen verbieten konnte er ihr zwar nicht, aber ihr Drogenkonsum war Anlass und Ausrede, sie für ein Jahr einzusperren. Tatsächlich war ein Schwarzer Agent an der Verhaftung beteiligt, in der fiktiven Imagination dieses Biopics wird diese Figur namens Jimmy Fletcher (Trevante Rhodes) zu einem der vielen Männer, die Holiday umgarnen und früher oder später verraten.

In zahlreichen, oft disparaten Zeitsprüngen, fächert Lee Daniels, der ein Drehbuch der Theaterautorin Suzan-Lori Parks verfilmt, das wilde, tragische Leben Billie Holidays auf, das in Armut begann und in einer durch lebenslangen Drogenkonsum forcierten Selbstzerstörung endete. Liebesaffären zu Männern und Frauen, enorme Erfolge in einer rassistischen Gesellschaft, Erinnerungen an Missbrauch in der Kindheit, Heroin und andere Drogen – Billie Holidays Leben sprengt jeden Rahmen und vielleicht ist dass das Problem des Films. So recht zu fassen bekommt Lee Daniels diese faszinierende Persönlichkeit nicht, allzu viel will er in etwas mehr als zwei Stunden packen.

Zusammengehalten wird das episodische Erzählen durch die Hauptdarstellerin Andra Day. Als Sängerin feierte Day in den letzten Jahren einige Erfolge, war für den Grammy nominiert und spielt hier ihre erste Hauptrolle, für die sie schon mit dem Golden Globe ausgezeichnet wurde. Zwar hat ihre Stimme nicht die besondere Qualität von Billie Holiday, doch als singende Schauspielerin bzw. als schauspielernde Sängerin überzeugt Day mit enormer Präsenz, egal ob sie auf der Bühne steht, im Backstagebereich Heroin spritzt oder sich in den ärmlichen Verhältnissen der Südstaatenslums bewegt.

Zwischen dieser bemerkenswerten Performance und dem Versuch, dass Schicksal Billie Holidays in den größeren Kontext der amerikanischen Rassenkonflikte zu stellen bewegt sich Lee Daniels Film. Das ist ambitioniert, aber nicht immer geglückt, denn immer wieder verliert „The United States vs. Billie Holiday“ den Kern der Geschichte aus den Augen: Das tragische Leben der großen Lady des Jazz, das so vielschichtig war, dass es auch ohne zu großes Bemühen den langen und noch lange nicht beendeten Weg zur wirklichen Rassengleichheit spiegeln würde.

Michael Meyns