Thelma

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Ein religiös überhöhtes Coming-of-Age Drama ist „Thelma“, der vierte Film von Joachim Trier, mit dem sich der bislang für klassische Arthouse-Filme wie „Oslo, 31. August“ oder „Louder than Bombs“ bekannte norwegische Regisseur zum ersten Mal in typische Genre-Gefilde wagt.

Webseite: www.kochmedia-film.de

Norwegen/Frankreich/Dänemark/Schweden 2017
Regie: Joachim Trier
Buch: Eskil Vogt & Joachim Trier
Darsteller: Elli Harboe, Kaya Wilkins, Henrik Rafaelsen, Ellen Dorrit Petersen, Grethe Eltervag
Länge: 116 Minuten
Verleih: Koch Media
Kinostart: 22. März 2018

FILMKRITIK:

Zum ersten Mal verlässt Thelma (Elli Harboe) ihr Elternhaus, zieht aus dem ländlichen Norwegen in die Hauptstadt Oslo, wo sie Biologie studieren will. Völlig abgeschirmt hat sie bislang zusammen mit ihrem Vater Trond (Henrik Rafaelsen) und ihrer im Rollstuhl sitzenden Mutter Unni (Ellen Dorrit Petersen) gelebt, die sie streng religiös erzogen haben. Und auch in Oslo versuchen die Eltern zumindest via Telefon ein Auge auf die Tochter zu haben, die die Kontrollen anfangs noch stoisch über sich ergehen lässt.
 
Ganz allein bewegt sich Thelma durch die neue Welt, ohne Kontakt zu anderen Menschen, ohne Freunde. Erst nachdem sie zum ersten Mal einen Anfall erlitten hat, zuckend in der Bibliothek lag und ins Krankenhaus gebracht wurde, wird sie von ihrer Kommilitonin Anja (Kaya Wilkins) angesprochen. Langsam entwickelt sich zwischen den beiden jungen Frauen eine innige, bald zärtliche Freundschaft, die Thelma mit Dingen konfrontiert, die bislang in ihrem Leben keinen Platz hatten: Alkohol, Zigaretten, Sex, Begierden. Doch je mehr sie aufblüht, je mehr sie lebt, um so extremer werden ihre Anfälle, für die unterschiedlichste Ärzte keine Erklärung finden. Nur eins scheint klar: Das Geheimnis zu ihrem Verhalten liegt in Thelmas Vergangenheit, in lange zurückliegenden Ereignissen, an die sie sich nur schemenhaft erinnert.
 
Existenzialistische Gedanken prägen alle Filme von Joachim Trier, von dem lebensmüden Mann in seinem besten Film „Oslo, 31. August“, der am Ende eines langen Tages freiwillig aus dem Leben scheidet, weil es ihn nicht mehr reizt, bis zu seinem verspielten Debüt „Reprise“, das gelebte und imaginierte Realität auf melancholische Weise vermischte. Nach „Louder than Bombs, einem Ausflug ins englischsprachige Arthouse, kehrt Trier nun nach Oslo zurück und probiert in mancherlei Hinsicht Neues aus. Zum ersten Mal stellt er zwei Frauen in den Mittelpunkt eines Films, was zu einigen befremdlich voyeuristischen Sexszenen führt, wie sie wohl nur noch männliche Regisseure inszenieren.
 
Viel entscheidender sind allerdings Triers Versuche, seine Geschichte mit Genreelementen anzureichern, eine übernatürliche Ebene zu etablieren. Von merkwürdigen Phänomenen werden Thelmas Anfälle begleitet, Vögel, die planlos gegen Scheiben fliegen sind da noch harmlos, dass sie im Rausch der Emotionen auch anderen Menschen Schaden zufügen kann, wiegt da schon schwerer. Von Religion und Repression will Trier hier erzählen, von einem jungen Mädchen, das mit den Möglichkeiten eines freien, unbeschwerten Lebens konfrontiert wird, das im Widerspruch zu ihrer konservativen Erziehung steht.
 
Ein sehr nordischer Ansatz, wie er etwa in den Filmen von Carl Theodor Dreyer oder auch Tiers Namensvetter Lars von Trier immer wieder auftauchen. Doch im Gegensatz zu diesen Regiekollegen scheint es Joachim Trier nicht recht zu wagen, sich ganz auf eine Genre-Erzählung einzulassen. Etwas willkürlich wirkt es oft, wie er seine Geschichte entwickelt, mit Rückblenden in die Vergangenheit von Thelma blickt, Erklärungsansätze liefert, ohne diese jedoch konsequent zu Ende zu denken.
 
Immer wieder gelingen ihm dabei eindrucksvolle Bilder, fängt er die zunehmende psychische Verwirrung Thelmas mit traum- und noch mehr alptraumhaften Szenen ein, die über die etwas holprige, unbestimmte Erzählweise eines im Ansatz spannenden Films kaschieren.
 
Michael Meyns