They See You

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Wo Shyamalan draufsteht, steckt Mystery drin! Das gilt nicht nur für M. Night Shyamalan, der mit dem Ich-sehe-tote-Menschen-Grusler „The Sixth Sense“ Ende der 1990er-Jahre schlagartig weltweite Bekanntheit erlangte. Auch seine Tochter Ishana setzt in ihrem Leinwanddebüt „They See You“ voll und ganz auf rätselhaftes Unbehagen. Basierend auf dem Roman „The Watchers“ (so lautet auch der Originaltitel des Films) von A. M. Shine entführt uns die Jungregisseurin, die unter anderem bei der Horrorserie „Servant“ erste Erfahrungen hinter der Kamera sammelte, in das mythenumrankte Irland, genauer: in einen sagenumwobenen Wald, der seine Besucher nicht mehr entkommen lässt. Atemberaubendes Genrekino erwartet uns dabei nicht. Merkwürdig ist angesichts eines soliden Schauerstücks allerdings, warum der Verleih Warner Bros. für Kritiken eine Veröffentlichungssperre bis zum Starttag angeordnet hat.

Webseite: https://www.warnerbros.de/de-de/filme/they-see-you

The Watchers
USA 2024
Regie: Ishana Night Shyamalan
Drehbuch: Ishana Night Shyamalan nach dem Roman „The Watchers“ von A. M. Shine
Darsteller: Dakota Fanning, Olwen Fouéré, Georgina Campbell, Oliver Finnegan, Alistair Brammer, John Lynch, Siobhan Hewlett, Hannah Dargan, Emily Dargan u. a.

Länge: 102 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Verleih/Vertrieb: Warner Bros. Germany
Kinostart: 6. Juni 2024

FILMKRITIK:

Einfach nur weg, die Vergangenheit hinter sich lassen, jede Verbindung kappen. Wie so viele Horrorfilmfiguren schleppt auch Mina (Dakota Fanning) ein erdrückendes Trauma mit sich herum. Vor 15 Jahren hat die US-Amerikanerin ihre Mutter verloren. Unter Umständen, die wir an dieser Stelle nicht näher ausführen wollen. Inzwischen lebt sie in Irland, geht ihrer Leidenschaft fürs Malen nach und arbeitet in einer Tierhandlung, für die sie einen Papagei zu einem weiter entfernten Kunden transportieren soll. Bevor sie die Reise in die westliche Pampa der Grünen Insel antritt, erfahren wir noch, dass sie sich selbst nicht gerade für einen besonders guten Menschen hält und ihre Identität gerne verschleiert.

Der Trip durch naturbelassene Landschaften, die Kameramann Eli Arenson in ihrer verwunschenen Schönheit einfängt, endet, immer schmaleren Wegen folgend, in einem Wald, der schon im Prolog als unentrinnbares Gefängnis etabliert wird. Niemand kehre aus ihm zurück, so die klare Ansage. Als ihr Wagen schlappmacht, versucht es Mina kurzerhand zu Fuß, dreht dann aber um, nur um festzustellen, dass das Auto plötzlich wie vom Erdboden verschluckt ist. Kurz darauf begegnet sie im dichten Forst der alten Madeline (Olwen Fouéré), die zusammen mit Ciara (Georgina Campbell) und Daniel (Oliver Finnegan) in einem Betonkasten haust, der an einer Seite komplett verglast ist.

Wie Mina erfährt, leben in der Wildnis geheimnisvolle Kreaturen, im Original „Watchers“ genannt, und kommen nur des Nachts aus ihren Erdlöchern, um die Insassen des Bunkers durch einen Einwegspiegel zu beobachten. Solange die Menschen sich ihnen brav und artig präsentieren, nur tagsüber im Dickicht umherstreifen und bestimmte, durch Schilder abgesteckte Grenzen nicht überschreiten, bleibt ihr Leben verschont. Dumm nur, dass Neuankömmling Mina um jeden Preis einen Weg aus dem grünen Käfig finden will…

Der Wald als Ort gefährlicher, undurchschaubarer Kräfte, die irische Sagenwelt als Aufhänger für eine Gänsehautgeschichte, Forscher, die in ihrem Wissensdrang jegliches Maß verlieren – auf Handlungsebene vermischt das nach A. M. Shines Romanvorlage von Ishana Night Shyamalan verfasste Drehbuch diverse klassische Horrorzutaten, erweist sich trotz anhaltendem Mystery-Geraune als nicht besonders innovativ. Gewisse Ähnlichkeiten bestehen zu Lee Cronins Gruselstreifen „The Hole in the Ground“ (2019), der im irischen Hinterland ebenfalls furchteinflößende, unter der Erde lebende Geschöpfe mit ganz speziellen Eigenschaften auf seine Protagonisten, eine Mutter und ihren kleinen Sohn, loslässt. Logikverfechter müssen in „They See You“ zuweilen – wahrlich keine Seltenheit im Genre – stark sein. Denn einige Behauptungen und Gegebenheiten halten einer Glaubwürdigkeitsprüfung nicht wirklich stand. Allein der mitten im Wald stehende Bunker wirft irgendwann Fragen auf.

Wer sich daran nicht stört, erlebt einen kompetent gefilmten Horror-Fantasy-Mix, der eine annehmbare Drohkulisse aufbaut, ohne die ganz großen, verstörenden Schockmomente zu besitzen. In ihrer Inszenierung vertraut Shyamalan auf den Schauerfaktor eines schier endlosen Waldes, ein vor allem von knackenden Geräuschen geprägtes Sounddesign und schnell aus dem Bild verschwindende Schatten oder Gegenstände. Bekannte Stilmittel, routiniert eingesetzt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Ganz angenehm ist es, dass sich die Schicksalsgemeinschaft, anders als in vielen ähnlich gelagerten Filmen, nicht rücksichtslos zerfleischt. Etwas mehr Wucht hätte jedoch ein konfrontativer Augenblick vertragen können, in dem es unverhofft an der Bunkertür klopft. Den in Arbeiten der Shyamalan-Familie fast schon obligatorischen Twist gibt es auch in „They See You“. Allerdings handelt es sich nicht um eine Enthüllung der Marke „Da zieht es mir den Boden unter den Füßen weg“. Wer auf die ausgestreuten Hinweise und Andeutungen, besonders die Fähigkeiten der Waldkreaturen, achtet, dürfte den Braten schon vor der Offenbarung riechen.

 

Christopher Diekhaus