This Kind of Hope

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Es liegt in der Natur der Menschen, dass die Aufmerksamkeit begrenzt ist, dass es kaum möglich scheint, sich auf mehr als ein, zwei Krisen zu konzentrieren. So kommt es, dass die vor einigen Jahren noch intensiv rezipierten Proteste gegen die Diktatur in Belarus inzwischen praktisch vergessen sind. Gute Gelegenheit also, sich Pawel Siczek sehenswerten Dokumentarfilm „This Kind of Hope“ anzuschauen, der einen der bekanntesten Regimekritiker porträtiert.

Deutschland 2023
Regie & Buch: Pawel Siczek
Dokumentarfilm

Länge: 82 Minuten
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 1. Februar 2024

FILMKRITIK:

„Freiheit, das ist wenn ein Tier aus einem Käfig ausbricht“ sagt ganz am Anfang von Pawel Siczeks Dokumentarfilm „This Kind of Hope“ der damals vielleicht sieben, acht Jahre junge Daniel, der Sohn von Andrei Sannikov. Eine etwas kindlich naive, Antwort, die aber doch den Kern trifft und sich am Ende des Films zu einer melancholischen Klammer formt.

Das Gespräch zwischen Vater und Sohn findet via Skype statt, denn während Andrei Sannikov in Warschau im Exil lebt, harrten seine Lebensgefährtin Iryna Khalip und der gemeinsame Sohn in Minsk, der Hauptstadt von Belarus aus. Khalip hatte Reiseverbot, während der Diplomat und Regimekritiker Sannikov das Land nach einem durch massive internationale Proteste beendeten Gefängnisaufenthalt verlassen musste.

In einer kleinen Wohnung in Warschau lebt er nun und setzt von dort aus unermüdlich den Kampf für sein Land fort. Schon in den späten 80er Jahren war der noch junge Sannikov an den Ereignissen beteiligt, die Belarus von einem Teilstaat der Sowjetunion zu einem unabhängigen Land machten, das für sehr kurze Zeit auch eine Demokratie war. Bei den Verhandlungen um den Abzug der Atomwaffen war Sannikov beteiligt, agierte an der Seite des baldigen Autokraten Lukaschenko, der 1994 in der ersten und bislang einzigen freien Wahl in Belarus tatsächlich legitim gewählt wurde.

Nach und nach entwickelte sich Lukaschenko jedoch zum autokratisch agierenden Despoten, Sannikov löste sich aus der Regierung und stellte sich 2010 selbst zur Wahl. Wie so viele Regimegegner wurde er verhaftet, vermutlich auch gefoltert. Seine Bekanntheit als international agierender Diplomat dürfte dazu beigetragen haben, dass schnell Proteste gegen seine Inhaftierung laut wurden, die seine Freilassung und die Flucht ins Exil ermöglichten.

Dort lebt und arbeitet er nun, dort setzt er sich für ein europäisches Belarus ein, im Gegensatz zu einem Belarus, das, so wie jetzt, kaum mehr als eine Marionette Moskaus ist. Dort, in Warschau, beobachtet ihn auch Pawel Siczek, ein polnischer Regisseur, der in München studiert hat. Diskret und zurückhaltend beobachtet Siczek Sanniko, der anfangs noch alleine, später mit Frau und Kind in einer kleinen Wohnung lebt, ein Zustand, der besonders während der Covid-Pandemie tatsächlich dem anfangs evozierten Käfig ähnelt.

Aus dem Sannikov zwar nach Westen reisen darf, zu Konferenzen der Europäischen Union, wo er mit unermüdlichem Einsatz und viel Geduld versucht, sein Land auf der Tagesordnung zu halten, es im Strudel der Ereignisse nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ob er es noch erleben werde wisse er nicht, sagt Sannikov einmal, aber irgendwann wird die Diktatur überwunden werden. Am Ende eines behutsamen, unaufgeregten und gerade deswegen sehenswerten Dokumentarfilms ist es der inzwischen fast erwachsene Sohn, der in seine Heimat zurückkehrt. Während die Eltern im Exil verbleiben müssen, kehrt Daniel nach Minsk zurück, wenige Monate bevor, auch vom Territorium Belarus aus, der russische Angriff auf die Ukraine beginnt.

 

Michael Meyns