Tics – Mit Tourette nach Lappland

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In der Erfolgskomödie „Vincent will Meer“ diente das Tourette-Syndrom als hübsche Comedy-Einlage, ebenso wie in „Ein Tick anders“. In dieser Doku geht es nun ans Eingemachte. Drei Betroffene unternehmen mit zwei medizinischen Experten eine Reise nach Finnland auf der Suche nach möglichen Heilungschancen in der unberührten Natur. Die Tics und unkontrollierten Zuckungen des Trios sind zunächst ziemlich gewöhnungsbedürftig. Doch diese Zumutung für den Zuschauer lohnt sich. Die teilnehmende Beobachtung der sensiblen Art eröffnet einen wunderbaren Zugang zu einer gemeinhin unbekannten Welt. Sympathische Menschen, deren bewegenden Geschichten man gerne anhört - zumal vor der idyllischen Naturkulisse von Lappland.

Webseite: https://salzgeber.de/tics

Deutschland 2021
Regie und Buch: Thomas Oswald
Darsteller: Marika Moritz, Daniel Weber, Leonard Kohlhoff
Filmlänge: 94 Minuten
Verleih: Salzgeber
Kinostart: 23.Juni 2022

FILMKRITIK:

Daniel, Marika und Leo heißen die drei jungen Leute, die unter dem Tourette-Syndrom leiden. Die also ständig unkontrollierte Laute von sich geben oder von chronischen Zuckungen des Körpers geplagt sind. Gemeinsam mit einem Neurologen sowie einem Psychiater unternimmt das Trio diesen Trip nach Lappland, in der Hoffnung, in der menschenleeren Natur eine Heilungschance zu finden. Die klassischen Therapien reichen von Elektro-Schocks im Gehirn bis zu Cannabis. Die Erfolge jedoch bleiben bislang überschaubar. Wer wollte schon eine Sonde im Kopf, die ständig Stromschläge verteilt? Allein die Arbeit mit Kindern in einer Kita hat Leo, einem der Protagonisten, auf wundersame Weise wie befreit. Kein unkontrolliertes Zucken mehr mit dem Kopf, keine unverständlichen Laute. Bis er Erzieher werden kann, ist es freilich noch ein anstrengender Weg.

Anstrengend ist es zunächst auch für die Zuschauer, die Tics und unkontrollierte Bewegungen von diesem Trio zu ertragen. Selbst die eigenen Eltern reagierten genervt auf die ständigen Laute, erzählt Daniel aus seiner Kindheit. Leo berichtet von den Reaktionen im Bus, wo er das ständige ausgelacht werden nicht mehr ertrug und schließlich selbst bei Wind und Wetter nur noch mit dem Fahrrad fuhr. Marika wird derweil „zum richtigen Tourette-Hasser“, wie sie sagt. „Ich nehme das längst gar nicht mehr wahr“, betont derweil einer der Ärzte und gibt die Richtung im richtigen Umgang vor. Mit großem Einfühlungsvermögen gelingt dieser Expedition in eine gemeinhin unbekannte Welt. Mit angenehmer Zurückhaltung präsentiert sich eine teilnehmenden Beobachtung der spannenden Art.

Ein paar Fakten und Einordnungen hätten kaum geschadet. Wie viele Menschen sind betroffen? Was war Hintergrund dieser Reise? Wer hat das organisiert und bezahlt? Solche Mängel sind verzeihlich, schließlich kann der Film durch seine Protagonisten punkten. Sowohl das Tourette-Trio als auch die beiden medizinischen Begleiter erweisen sich als sympathische Figuren mit interessanten Geschichten. Immer wieder kreisen die Themen um Akzeptanz. Fast ganz nebenbei stellt sich auch für Zuschauer die Frage, wie weit es mit der eigenen Akzeptanz tatsächlich her ist. „Von der Natur werde ich akzeptiert“, sagt Daniel einmal als er am menschenleeren See in Lappland sitzt. Seine Laute, seine Zuckungen sind dann völlig irrelevant. Bei den Begegnungen mit den Einheimischen scheinen die Behinderungen gleichfalls keine Rolle zu spielen. Ob deren Schamanen-Rituale tatsächlich Besserung bringen? Die Antwort bleibt offen. Schaden kann diese Art von Entschleunigung kaum. Die Weite der Natur, das Fehlen von jeder Hektik hat unmittelbare Effekte auf das Wohlbefinden. Zumindest bei einem der drei Reisenden hat der Roadtrip Erfolge gebracht. Für das Publikum brachte er eindrucksvolle Eindrücke vor wunderbaren Naturbildern aus dem hohen Norden.

 

Dieter Oßwald