Tomorrow is Always too Long

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Als "Liebeserklärung an Glasgow" wird Phil Collins "Tomorrow is Always too Long" bezeichnet, doch eine auch nur im Ansatz konventionelle Dokumentation über Schottlands Metropole sollte man nicht erwarten. Was genau der Film des Videokünstlers ist, ist schwer zu fassen: teils Musical, teils Mediensatire, teils melancholische Ode an das Leben, in jedem Fall aber ungewöhnlich und ziemlich einzigartig.

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Großbritannien/ Deutschland 2014
Regie: Phil Collins
Buch: Phil Collins, Ewan Morrison
Darsteller: Kate Dickie, Mick Harden, Molly Christie, Grace Kabonga, Amber Walker, George Wilson
Länge: 82 Minuten
Verleih: Rapid Eye Movies
Kinostart: 17. März 2016
 

FILMKRITIK:

Früher waren es oft Regisseure von Werbung und Video-Clips, die zum Film wechselten, inzwischen finden sich immer mehr Videokünstler, die sich an narrativen Formen versuchen. Während jedoch ein Regisseur wie Steve McQueen in "Shame" oder "12 Years a Slave" weitestgehend klassischen narrativen Strukturen folgt, bewegt sich sein britischer Landsmann Phil Collins in seinem Film "Tomorrow is Always too Long" auf wesentlich experimentellerem Feld.

Großzügig betrachtet könnte man eine Handlung skizzieren, die den Lebensweg von Geburt bis zum Tod nachzeichnet: Es gibt dokumentarische Aufnahmen, in denen ein Paar in einem Schwangerschaftskurs über die Position ihres Babys bei der Geburt erfährt, später Aufnahmen von Tanzkursen in einer Grundschule, weiter mit Szenen in einem Gefängnis, gefolgt von einem Tanzabend älterer Herrschaften mit angeschlossenem Bingo-Spiel. Wenn es neben dem Schauplatz Glasgow und vor allem der Beteiligung von Glasgower Bürgern aus allen Alters- und sonstigen Schichten ein verbindendes Element gibt dann ist das die Musik: Immer wieder brechen die Beteiligten in den unmöglichsten Situationen in Gesang aus und singen eigens für den Film geschriebene Songs der walisischen Künstlerin Cate Le Bon.

Ein wenig erinnern diese Momente an Lars von Triers "Dancer in the Dark" in dem Musik ebenfalls der Weg zum emotionalen Kern war. Und danach sucht auch Collins, der lange Jahre in Glasgow lebte und hier seiner ehemaligen Heimat und ihren Menschen ein Denkmal setzt. Ein idealisiertes Bild ist dies jedoch nicht, im Gegenteil: Die sozialen Probleme der Arbeiterstadt werden offensiv in den Mittelpunkt gestellt, wobei hier zwei der anderen Elemente des Films ins Spiel kommen: Zum einen in schwarz-weiß animierte Szenen, die eine düstere Welt zeigen, in der die Menschen mit Alkohol und Drogen vor ihrem Alltag flüchten. Zum anderen größtenteils fiktive Ausschnitte aus dem Fernsehen, vor allem aus Quizshows, Verkaufssendungen und Talkshows. So authentisch wirken diese Clips, dass man anfangs glaubt, ein angepriesenes Metallband, dass bewusst den Alarm bei der Personenkontrolle am Flughafen auslöst sei echt. Für Menschen, die zumindest in dieser Situation körperliche Nähe erleben wollen sei diese Erfindung gedacht, ein ebenso bizarrer wie tragischer Einfall, der zu einem der Kerne des Films führt: Dem Verlust von emotionaler Nähe in der modernen Gesellschaft, den Collins immer wieder andeutet.

Doch trotz manches melancholischen Moments ist "Tomorrow is Always too Long" vor allem ein verspielter Film, der sich diverser Formen und Muster bedient, zwischen Animation, Dokumentation, Satire und Musical hin- und herspringt, um ein sehr eigenwilliges, sehr persönliches Porträt einer Stadt zu entwerfen.
 
Michael Meyns