Schon der Superlativ des Titels deutet an, dass man es hier nicht mit einer dokumentarischen Tierdokumentation zu tun hat, sondern mit einem reißerischen Film. Der hat zwar durchaus ansprechende Bilder über das Leben von Meeresschildkröten zu bieten, zwängt diese aber in ein narratives Korsett, dass zusammen mit einer absurden, vermenschlichenden Erzählspur aus instinktiv handelnden Tieren reflektiert denkende Wesen machen will.
Webseite: www.tortuga-derfilm.de
USA 2009
Regie: Nick Stringer
Drehbuch: Nick Stringer, Sarah Golding
Länge: 81 Min.
Verleih: Polyband Medien
Kinostart: 1. Oktober 2009
PRESSESTIMMEN:
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FILMKRITIK:
Auch der Dokumentarfilm und besonders die stets beliebte Natur- und Tierdokumentation ist dem scheinbaren Druck unterworfen, stets Neues, Aufwändigeres, Spektakuläreres zu zeigen. Es reicht nicht mehr wie weiland Heinz Sielmann oder Bernhard Grzimek seine Kamera in relativ großer Nähe zu den Tieren aufzustellen, verwackelte, grobkörnige Bilder zu zeigen und dies in Ruhe zu beobachten und mit wissenschaftlich fundiertem, zurückhaltenden Kommentaren zu unterlegen. Heute vollen die Menschen, vor allem die Kinder, die bei Tierdokumentationen immer wichtigste Zielgruppe sind, Action, spektakuläre Aufnahmen. Zumindest scheinen das viele Regisseure zu denken, auch wenn verhältnismäßig zurückhaltende Filme wie „Unsere Erde“ große Erfolge im Kino waren.
Mit „Tortuga – Die unglaubliche Reise der Meeresschildkröte“ gelingt es Regisseur und Autor Nick Stringer nun, neue Negativmaßstäbe zu erreichen, wenn es um die Vermenschlichung der Tierwelt geht. Rein inhaltlich betrachtet, zeigt der Film die Wanderung der Meeresschildkröten, die am Strand von Florida schlüpfen, mit dem Golfstrom quer durch den Atlantik schwimmen, später in der Karibik landen und schließlich wieder am Strand von Florida ankommen, wo sie selbst Eier legen, der Kreislauf also von neuem beginnt. Eigentlich eine interessante Geschichte, die für zahlreiche Erklärungen bezüglich der Meeresströmungen, des Paarungsverhalten, der instinktiven Wanderung von Tieren gut wäre.
Solche Erklärungen sind jedoch weitestgehend Mangelware. Die Musik- und Kommentarspur bemüht sich vom ersten Moment an, die Wanderung der Schildkröten in ein narratives Konstrukt zu zwängen, das aus instinktiven Handlungen eine bewusste Reise macht. Hannelore Elsner spricht diesen Kommentar mit einem Pathos, der selbst die wenigen zurückhaltenden Sätze zu einem weltbewegenden Ereignis macht. Die Tiere werden hier zu Nomaden, die sich auf eine Reise bewegen, Algen werden zu einem Kinderzimmer, in dem das Jungtier friedlich aufwächst, „unsichtbare Spuren der Ahnen“ werden beschworen und am Ende steht die Paarung. In dieser kaum verhohlen kreationistischen Beschreibung der Tierwelt, ist es das höchste Glück eines jeden weiblichen Wesens Mutter zu werden. Wenn dies erfüllt ist, die Eier gelegt sind, wird das dann allen ernstes als „Tribut an das Land“ bezeichnet. Dass ist ein solch hanebüchener Blödsinn, dass man sich wundert, dass die wissenschaftlichen Berater, die im Abspann genannt werden, nicht ihre Namen zurückgezogen haben.
Hinzu kommt eine bombastische Musik, die zum Beispiel den Anfang des Films, in dem sich die gerade geschlüpften Schildkröten gegen Krabben zur Wehr setzen müssen, in Verbindung mit extremen Nahaufnahmen, zu einem veritablen Actionepos macht. Mit einem Dokumentarfilm haben solche Szenen wenig zu tun, zumal man immer wieder den Verdacht hat, dass Szenen – mit welchen Mitteln auch immer – für die Kamera gestellt wurden, damit sie dem gewünschten Drehbuch entsprechen. Dass dabei bisweilen außerordentliche Unterwasseraufnahmen entstanden ist das einzige, das diesen Film rettet. Sofern man in der Lage ist die in jeder Hinsicht inakzeptable Tonspur auszublenden, ist „Tortuga“ durchaus sehenswert, mit Ton allerdings nur schwer zu ertragen.
Michael Meyns