Total Trust

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Braver Bürger – böser Bürger. Im totalitären China der Gegenwart entscheidet darüber ein ausgeklügeltes Social-Scoring-System, das nahezu alle Bereiche des Lebens erfasst hat. Wünschenswertes Verhalten erfährt Belohnung, ein geringer Punktestand führt hingegen zu Benachteiligungen im Alltag. Wie weit freiheitliche Einschränkungen und Überwachung in China bereits vorangeschritten sind zeigt die Dokumentation „Total Trust“. Der Film offenbart eine Einmischung der Politik in privateste Angelegenheiten und eine Form der staatlichen Kontrolle mittels modernster Technik, wie es sich die westliche Welt nicht vorzustellen vermag.

Niederlande, Deutschland 2022
Regie: Jialing Zhang
Buch: Jialing Zhang

Länge: 97 Minuten
Verleih: Piffl Medien
Kinostart: 05.10.23

FILMKRITIK:

Mit aller Macht und in hohem Tempo treibt China die staatliche Überwachung im Land und damit die soziale Kontrolle über die eigene Bevölkerung voran. Ein komplexes Geflecht aus Big Data und digitalen Technologien, Zensur und (Sozialstatus-) Punktesystem ermöglicht es der Regierung, die Bürger noch besser zu kontrollieren und gleichzuschalten. Mit drastischen Folgen für die Menschen und ihre Freiheit: Aufgrund des Drucks, den die Machthaber mit ihrem Vorgehen ausüben, ändern sich die Umgangsweisen der Menschen. Schließlich kann sich ein „unerwünschtes“ Verhalten negativ auf das eigene Social-Scoring-System auswirken. „Total Trust“ wagt einen Blick ins Innere einer dauerüberwachten Gesellschaft und porträtiert einige Menschenrechtsaktivisten und ihre Familien.

Die Dokufilmerin Jialing Zhang kennt die menschenverachtenden Restriktionen Chinas unter Xi Jinping aus eigener Erfahrung. Sie selbst musste ihre Heimat verlassen, da der Regierung ihre kritischen, politischen Filme missfielen. Seit einigen Jahren agiert sie daher aus New York, dort lebt die Regisseurin seit ihrem Exil. Von den USA aus stand sie im beständigen Austausch mit chinesischen Aktivisten, die vor Ort und teils mit versteckter Kamera jenes Material anfertigten, das sich in „Total Trust“ wiederfindet. Nur so konnte der Film entstehen.

Das soziale Kontrollsystem im größten Land der Welt ist bereits weit vorangeschritten – das macht „Total Trust“ auf erschreckende Weise deutlich. Wie pervers und perfide es ist zeigt sich ganz direkt an der Verquickung aus psychologischem Druck und materiellen wie sozialen Einbußen, die mit einem Abstieg im Punkte-Ranking verbunden sind. Einfachste „Zuwiderhandlungen“ bei ganz alltäglichen Tätigkeiten und Ereignissen, etwa Falschparken oder fehlerhafte Mülltrennung, können nach dem entsprechenden Punkteabzug massive Konsequenzen nach sich ziehen. Etwa Benachteiligungen bei der Job- und Wohnungssuche. Oder man erhält erschwerten Zugang zu ausgewählten Konsumgütern oder Krediten. Gleichzeitig kann man sich durch erwünschtes Verhalten, etwa ehrenamtliches Engagement, Punkte hinzuverdienen.

Welchen Einfluss die Dauerüberwachung und politische Kontrolle unmittelbar auf das Leben der Betroffenen hat, zeigt sich an den Beispielen der Porträtierten. Trotz des Verlusts ihrer Freiheit und Unterdrückung durch die Regierung kämpfen sie um ihre Rechte. Darunter die Frau eines Anwalts und Menschenrechtsaktivisten, der seit drei Jahren inhaftiert ist. Verbissen und mittels selbst erstellter Protestvideos versucht sie alles, um die Freilassung herbeizuführen und die Welt auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

Im Visier des Staates befindet sich zudem eine im Film auftretende Journalistin und Frauenrechtlerin, die freimütig und offen die alltäglichen Schikanen offenlegt. Darunter die Videoüberwachung ihrer Wohnung und die Unmöglichkeit, sich auch nur ansatzweise unerkannt im öffentlichen Raum zu bewegen. Denn durch Gesichtserkennung und die Sammlung aller biometrischer Daten (Fingerabdrücke u.a.) inklusive eines Stimmenprofils, kann sie der Staat immer und überall orten und verfolgen.

Die Bilder und Äußerungen, mit denen einen „Total Trust“ konfrontiert, sind drastisch und erschütternd. Und sie machen sprachlos. Zumal sich noch an ganz anderer Stelle zeigt, wie die staatliche Einflussnahme das bürgerliche Miteinander bereits beeinflusst. Nachbarn spionieren Nachbarn aus, Menschen beurteilen anderen Menschen nach deren Kaufverhalten und Zahlungsmoral. Das Ende eines harmonischen Zusammenlebens und die Zerstörung des gegenseitigen Vertrauens werden langfristig die Folge sein.

 

Björn Schneider