Touched

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Claudia Rorarius „Touched“ als ungewöhnliche Liebesgeschichte zu bezeichnen wäre einerseits korrekt, würde andererseits doch am Kern des Films vorbeigehen. Denn wer sich hier verliebt – oder zumindest Sex hat – sind eine stark übergewichtige Krankenpflegerin und ihr querschnittsgelähmter Patient. Ein drastischer Film, den man als mutig bezeichnen kann, der seine betonte Radikalität aber bisweilen aber auch allzu sehr ausstellt.

Deutschland 2023
Regie & Buch: Claudia Rorarius
Darsteller: Isold Halldórudóttir, Stavros Zafeiris, Angeliki Papoulia, Yousef Sweid, Dimitra Vlagopoulou

Länge: 135 Minuten
Verleih: Cologne Cinema Collective
Kinostart: 25. April 2024

FILMKRITIK:

Fast ein Kammerspiel ist „Touched“, die Welt scheint meist nur aus zwei Menschen zu bestehen: Der jungen, unerfahrenen und übergewichtigen Krankenschwester Maria (Isold Halldórudóttir) und ihrem querschnittsgelähmten Patienten Alex (Stavros Zafeiris). Anfangs erklärt eine andere Schwester Maria noch, was sie zu tun hat, danach ist sie weitestgehend auf sich allein gestellt, hilft Alex beim Essen, beim Schwimmen, beim Urinieren.

Unweigerlich entsteht Nähe, Berührungen sind zwangsläufig, im Schwimmbecken, im Bett. Nachdem Alex fast ertrinkt – vielleicht ein Suizidversuch – entsteht bald ein Maß an Intimität, das man angesichts der Umstände auch als sexuellen Missbrauch bezeichnen könnte, der hier allerdings fast wie eine Amour Fou geschildert wird. Ob einer der beiden den anderen ausnutzt oder benutzt, wie die Abhängigkeitsverhältnisse den Sex oder die Affäre belasten und letztlich unmöglich machen, sind die Fragen, die im Raum mitschwingen.

Während nach und nach die Ursachen von Alex’ Querschnittslähmung verdeutlicht werden, ein Außen entsteht, in dem eine attraktive Ex-Freundin existiert, Kontakt in eine Welt außerhalb des Krankenhauses, bleibt Maria eine Chiffre. Sie scheint kein Leben außerhalb des Krankenhauses zu haben, keine Freunde, keine Familie. Ein, zwei Mal sieht man sie in einer Karaoke-Bar, wie sie mit brüchiger Stimme ein Lied singt, mal steht sie an einer Ballettstange und führt Übungen durch.

Immer wieder wirkt „Touched“ wie eine Kunstinstallation und weniger wie ein Spielfilm, im fast quadratischen 4:3-Format zeigt Claudia Rorarius, die an der für künstlerisch ambitionierte Projekte bekannte Kunsthochschule für Medien in Köln studiert hat, ihre Protagonisten, ihre Figuren.

Beide Akteure stehen zum ersten Mal vor der Kamera und spielen in gewisser Weise Variationen ihrer selbst: Das isländische Plus-Size Model Isold Halldórudóttir ist auch Aktivistin der Body Positivity Bewegung, während der Grieche Stavros Zafeiris seit einem Motorradunfall selbst im Rollstuhl sitzt.

Ähnlich wie Adina Pintilies „Touch me not“, der vor einigen Jahren den Goldenen Bären gewann, arbeite auch Rorarius mit bewusst gesetzten Schockbildern, zeigt etwa, wie ein Katheter in die Harnröhre eingeführt wird, zeigt graphischen, fast pornographischen Sex, konfrontiert den Zuschauer mit Bildern, denen man sich normalerweise nicht aussetzen würde. Inwieweit das notwendig ist, um von einer Liebesaffäre voller Abhängigkeiten zu erzählen, ließe sich fragen, denn gerade in der zweiten Hälfte des überlangen Films gelingt es auch ohne solch betont provokante Bilder eindringlich von einer zunehmend zerstörerischen Beziehung zu erzählen. Zunehmend aggressiv agiert nun Alex, der Maria beschimpft und damit eigentlich sich selbst und sein Schicksal meint. Berührende Momente gelingen hier, die das anfangs etwas zu konstruierte Konzept mit Leben erfüllen. Die beiden Darsteller jedenfalls wurden beim Festival in Locarno zurecht mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet. Von ihren Performances lebt ein Film, der sich bisweilen etwas zu sehr darin gefällt, extrem zu sein.

 

Michael Meyns