Sich falsch fühlen im eigenen Körper. Das ist die Empfindung, von der fast alle Trans-Menschen berichten. Oft rufen sie damit heftige Reaktionen in ihrem Umfeld hervor. Eltern wenden sich von ihren Kindern ab, ehemalige Freunde geben ihnen nicht mehr die Hand. Die Dokumentarfilmerinnen Imogen Kimmel und Doris Metz stellen Menschen vor, die den schwierigen Weg der Geschlechtsumwandlung gehen: Empathie als Waffe gegen Diskriminierung.
Website: www.mindjazz-pictures.de/filme/trans/
Dokumentarfilm
Deutschland, Russland, USA 2021
Buch und Regie: Imogen Kimmel und Doris Metz
Länge: 95 Minuten
Verleih: mindjazz pictures
Kinostart: 23.9.2021
FILMKRITIK:
Selten freut sich jemand so sehr auf eine bevorstehende Operation. Die junge Russin, im Moment noch ein Mann, sehnt nichts so sehr herbei wie den Eingriff, der sie ein Stück weiblicher macht. Als sie das Krankenhaus verlässt, fängt sie noch vor dem Eingang an zu tanzen, ruft „Freedom“, ist ganz außer sich. Dabei ist ihr Kopf noch mumienhaft verbunden, ihr Körper sieht schwach aus. Aber unter dem Verband an der Stirn und am Kinn verbergen sich Veränderungen, die den Weg in ein neues Leben einleiten. In Russland, so erfahren wir, ist es überlebenswichtig, zu allererst die Gesichtszüge zu feminisieren. Wer auf der Straße als Trans-Frau erkannt wird, weil die typisch männlichen Züge das ehemalige Geschlecht verraten, muss um Leib und Leben fürchten.
So übel ergeht es den sieben anderen Protagonisten nicht, die die Regisseurinnen Imogen Kimmel und Doris Metz dem Publikum vorstellen. Aber mit gesellschaftlichen Vorurteilen haben sie alle zu kämpfen, egal in welchem Stadium sie sich befinden, ob noch halb Mann und halb Frau, ob mehrmals operiert oder ob noch ganz am Anfang stehend. Jedes Schicksal ist anders, jede Geschichte steht für sich, jede Erfahrung ist individuell.
Aber eines haben alle Trans-Personen gemeinsam, berichtet Spezialist Dr. Jürgen Schaff, der schon mehr als 9000 Geschlechtsanpassungen vorgenommen hat: „Sie haben zu 99,9 Prozent von früher Jugend an das Gefühl, im falschen Körper geboren zu sein“. Früher habe man geglaubt, dieses Gefühl psychotherapeutisch behandeln zu müssen. Aber das sei ein Irrweg gewesen. Stattdessen müsse man den Menschen chirurgisch helfen. Sonst drohen ernsthafte seelische Probleme, die nicht selten in Selbstmord münden würden.
Die sachliche Aufklärung ist das eine Anliegen des Films – bis hin zur Kamera im Operationssaal und der genauen Erläuterung, was da gemacht wird. Viel wichtiger ist aber eine zweite Motivation. Nämlich keinen Problemfilm zu drehen, sondern das Leben so zu feiern, wie es ist. Schon in den Anfangssequenzen verschmilzt die Kamera von Sophie Maintigneux Bildern vom Meer mit Nahaufnahmen menschlicher Haut, abstrahiert vom konkreten Geschehen, um Bilder voller Schönheit zu kreieren, manchmal von saftigen Landschaften, manchmal von der Eleganz eines Eishockeyspielers auf dem Eis. Nur selten werden die Bilder in typisch dokumentarischer Manier hektisch, meist bewahren sie Ruhe und Überblick. Sie fokussieren auf die Freude, wenn Menschen sich ein Lebensgefühl erobern, das sich echt anfühlt.
Bewundernswert ist das Vertrauen, das sich die Regisseurinnen erworben haben. Intimste Dinge werden wie selbstverständlich angesprochen – ein Beweis für die große Einfühlungskraft in eine Lage, die wohl nur ein selbst Betroffener vollständig begreifen kann. „Trans – I got Life“ stellt den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt, ohne das große Ganze aus dem Blick zu verlieren, etwa das mangelnde Verständnis der Gesellschaft. Zwar hätte es dem Film gut getan, wenn die Regisseurinnen in der Postproduktion noch einen oder zwei Protagonisten rausgeschnitten hätten, zumal man von manchen sehr viel weniger erfährt als von anderen. Aber wenn am Ende fast alle zu einem festlichen Ball zusammenkommen, rundet sich das Bild auf stimmige Weise. Sie tanzen Walzer, so beschwingt wie die Tonlage des ganzen Films.
Peter Gutting