Traumland

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Dass ausgerechnet an Weihnachten regelmäßig Konflikte ausbrechen, Beziehungen zerbrechen und Menschen sich in einem nur schwer zu kontrollierenden Gefühlschaos widerfinden, dürfte hinlänglich bekannt sein. Die Schweizerin Petra Volpe nutzt dieses besondere Datum für einen authentischen Episodenfilm rund um das Züricher Rotlichtmilieu. Dabei blickt ihr Film, für den sie ein internationales Ensemble gewissen konnte, vor allem hinter bürgerliche Fassaden und auf menschliche Ausnahmesituationen.

Webseite: www.farbfilm-verleih.de

CH/D 2013
Regie & Drehbuch: Petra Volpe
Kamera: Judith Kaufmann
Darsteller: Luna Zimić Mijović, Ursina Lardi, André Jung, Devid Striesow, Marisa Paredes, Bettina Stucky, Stefan Kurt
Laufzeit: 98 Minuten
Verleih: farbfilm
Kinostart neu: 20.11.2014

FILMKRITIK:

In den Fenstern brennen bunte Lichterketten, aus vielen Wohnungen leuchtet es hell. Dazu fällt Schnee auf die Stadt nieder, die sich schon bald als das weihnachtliche Zürich zu erkennen gibt. So beginnt „Traumland“, das Kinodebüt der Regisseurin und Drehbuchautorin Petra Volpe, die bislang meist für das Schweizer Fernsehen inszenierte und mehrere Kurzfilme drehte. Ihr Film ähnelt einem kunstvoll geflochtenen Muster, welches sich aus unterschiedlichen Geschichten zusammensetzt und dessen Fäden alle bei der jungen Bulgarin Mia (Luna Zimić Mijović) zusammenlaufen. Obwohl sie noch ein Teenager ist, arbeitet sie bereits als Prostituierte im Rotlichtmilieu. Sie wartet am Straßenstrich auf ihre Kunden, darunter der geschiedene Rolf (André Jung), dem es nicht gelingt zu seiner pubertierenden Tochter ein normales Verhältnis aufzubauen. Selbst an Weihnachten zeigt sie ihm die kalte Schulter. Alleine lebt auch die Spanierin Maria (Marisa Paredes). Seit dem Tod ihres Mannes fühlt sie sich fernab der Heimat zunehmend fremd und einsam. Ihr einziges Kind lebt und arbeitet derweil in Hong Kong – tausende Kilometer weit weg.
 
Ganz andere Probleme brechen plötzlich über die Ehe von Lena (Ursina Lardi) und Martin (Devid Striesow) herein. Während das Paar sein zweites Kind erwartet, muss Lena feststellen, dass ihr Mann offensichtlich schon länger zu Prostituierten geht und sich dort das holt, was er zu Hause angeblich nicht mehr bekommt. Ausgerechnet am Weihnachtsabend, als Martins Eltern zu Besuch kommen, begibt sie sich auf Spurensuche ins Milieu. Damit schließt sich der Kreis zu Mia, die Volpe ganz bewusst ins Zentrum ihres multinational besetzten Ensemblestücks rückt. Die einzelnen Episoden laufen anfangs parallel, berühren sich später scheinbar lose und finden über die darin verborgenen Themen im weiteren Verlauf auf eine gemeinsame emotionale Ebene.
 
Volpes Blick in die Welt meist bürgerlicher, gut situierter Familien – Mias Schicksal hebt sich hiervon als einziges erkennbar ab – ist nah an der Wirklichkeit und frei von Überhöhungen. Stilistische Ablenkungsmanöver sucht man hier vergeblich. Stattdessen fühlt sich die u.a. an der Konrad Wolf HFF in Babelsberg ausgebildete Regisseurin dem osteuropäischen Kino und einer möglichst authentischen Erzählhaltung verbunden. Tatsächlich lassen sich in „Traumland“ eine Vielzahl wahrhaftiger Momente erleben. Gerade weil man sich in den Geschichten mitunter wiedererkennt, erzwingt der Film eine Konfrontation mit seiner unbequemen Agenda. Volpe war es wichtig, den Zuschauer aus seiner „Komfortzone“ zu holen. Auch gemessen an diesem Anspruch, fällt das Ergebnis durchaus überzeugend aus.
 
Neben der nüchternen, realitätsbezogenen Inszenierung, die keine Distanz zu den Figuren zulässt, tragen die Schauspieler maßgeblich zum Authentizitätsanspruch der verschiedenen Erzählstränge bei. Luna Zimić Mijović, auf die man erstmals 2004 aufgrund ihrer Rolle in dem Kriegsdrama „Grbavica“ international aufmerksam wurde, hält souverän die Teile dieses filmischen Mosaiks zusammen. Sogar neben einer Schauspielgröße wie der spanischen Almodóvar-Aktrice Marisa Paredes kann sie sich mit ihrer mutigen Darstellung behaupten. Auch der übrige Cast – darunter André Jung, Devid Striesow und Bettina Stucky – stellt sich bedingungslos hinter Volpes Anliegen an eine jederzeit glaubhafte Entwicklung von Narration und Figuren. Mit „Traumland“ erzählt die Schweizerin schlussendlich eine herausfordernde, universelle Geschichte von der Suche nach Nähe, Liebe und Zweisamkeit.
 
Marcus Wessel