Trenque Lauquen

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Ein Dutzend Kapitel, über vier Stunden Laufzeit, mehrere Erzählebenen: Das argentinische Drama „Trenque Lauquen“ erzählt in epischer Länge vom Verschwinden einer jungen Frau, deren Spur bis in eine kleine abgeschiedene Stadt im äußersten Westen Argentiniens führt. Ihr folgen zwei Männer, die eigentlich um Laura konkurrieren – doch in ihrem Wunsch nach einer Lösung des Rätsels vereint sind. „Trenque Lauquen“ erweist sich als Labyrinth-artiges, komplexes Werk, das zeitgemäße Themen behandelt und einen außergewöhnlichen erzählerischen Sog entwickelt.

Argentinien 2020
Regie: Laura Citarella
Buch: Laura Citarella, Laura Paredes
Darsteller: Laura Paredes, Elisa Carricajo, Verónica Llinás,
Ezequiel Pierri, Rafael Spregelburd

Länge: 260 Minuten
Verleih: Grandfilm
Kinostart: 01. Juni 2023

FILMKRITIK:

Die 35-jährige, aus Buenos Aires stammende Biologin Laura (Laura Paredes) kommt für einen Forschungsauftrag in die argentinische Provinzstadt Trenque Lauquen – und verschwindet plötzlich. Unterdessen begeben sich zwei Männer, Ezequiel und Rafael (Ezequiel Pierri, Rafael Spregelburd), auf die Suche nach Laura. Sie möchten drängende Fragen klären: Was genau ist passiert? Und warum ist sie gegangen? Spielt möglicherweise die russische Autorin Alexandra Kollontai eine Rolle? Laura las zuletzt eines ihrer Bücher. Während die beiden Männer sich auf ihre Spur begeben, Anwohner befragen und wie Detektive vorgehen, sorgt eine unheimliche Entdeckung im See des örtlichen Parks für Aufruhr.

In einem Dutzend Kapitel und sage und schreibe 260 Minuten entwirft Regisseurin und Drehbuchautorin Laura Citarella das Bild einer obsessiven Frau, die sich auf der Flucht befindet. Vor ihrem eigenen Leben, das aus einer unglücklichen Beziehung zu Rafael, einem eintönigen Job bei einem Radiosender und unerfüllten Sehnsüchten besteht. Erst nach und nach erschließen sich dem Zuschauer im Laufe der Handlung weitere Gründe und es kommt zu Enthüllungen, die für Lauras geheimnisvolles Verschwinden gesorgt haben.

So viel sei schon einmal verraten: Themen wie Gleichstellung, Freiheit, Emanzipation und eine individuelle Vorstellung von Weiblichkeit spielen eine nicht unwichtige Rolle. Dies wird bereits in der Inhaltsangabe des Films durch Nennung des Namens Alexandra Kollontai angedeutet. Die Russin Kollontai war Revolutionärin und wegweisende Frauenrechtlerin. Der Film spricht damit essentielle, moderne Themen an, die ihn zu einem zeitgemäßen Werk machen.

Citarella unterteilt „Trenque Lauquen“ in zwei Filme, im ersten stehen vor allem Ezequiels und Rafaels Suche und eine in Flashbacks ausgerollte Nebenhandlung im Zentrum: eine in leidenschaftlichen Briefen dargebotene Liebe zwischen einer Frau namens Carmen und ihrem Liebhaber. Es ist spannend und nachdrücklich mit anzusehen, wie Laura (authentisch und mit unvergleichlicher Präsenz: Laura Paredes) immer mehr Gemeinsames zwischen sich und dieser Carmen entdeckt. Sie verliert sich zunehmend in den Briefen und ihren Inhalten. Überhaupt huldigt Citarella hier immer wieder „analogen“, heute bisweilen antiquiert anmutenden Kommunikationsmitteln, Kunstformen und Medien wie Briefen und Büchern.

Vielschichtig gestaltet sich auch das Verhältnis zwischen Ezequiel und Rafael. Eigentlich sind sie Konkurrenten, doch sie verfolgen dasselbe Ziel: Sie wollen Laura finden. In Rückblenden erschließt sich dem Betrachter nach und nach, in welchem Verhältnis die Vermisste und Ezequiel zueinanderstanden. Generell spielen die klug eingestreuten Flashbacks in „Trenque Lauquen“, der sich aus unterschiedlichen Erzählebenen zusammensetzt und seine Geschichte aus mehreren Perspektiven beleuchtet, eine tragende Rolle.

Inspiration erfuhr Citarella auch durch eine Vielzahl an Genres und filmischen Gattungen, die sie in „Trenque Lauquen“ genüsslich zitiert. Am deutlichsten lässt sich der Film als Drama klassifizieren. Darüber hinaus werden durch die Recherchearbeiten und Ermittlungen der beiden Männer Erinnerungen an klassische Kriminal- und Detektivfilme geweckt. Dokumentarisch mutet der Film an, wenn Citarella das Geschehen in (verwackelten) Nahaufnahmen festhält. Ebenso zitiert sie in vielen Szenen das Surreale eines David Lynch und streut zudem Elemente des Mysteryfilms ein, wenn das Gerücht eines Monster-ähnlichen Wesens in der Nähe des großen Sees die Runde macht.

All dies macht aus „Trenque Lauquen“ ein ebenso ungewöhnliches wie komplexes Film-Rätsel, das eine faszinierende Sogwirkung entfaltet. Durchhaltevermögen und Geduld muss man bei der ausladenden Laufzeit aber in jedem Fall aufbringen.

 

Björn Schneider