Trockenschwimmen

Zum Vergrößern klicken

Kleine Geschichte, große Wirkung - das zeigt einmal mehr diese angenehm unaufgeregte Dokumentation, die beim Leipziger DOK-Festival zum Publikumsliebling avancierte. Erzählt wird von einer Gruppe Senioren, die den Sprung ins kalte Wasser wagen: Sie möchten endlich schwimmen lernen. Weshalb sie es bislang nicht können, hat vielfältige Gründe. Darüber, und worauf diese Generation sonst so alles verzichten musste, plaudern die planschenden Protagonisten. Das Ergebnis fällt so bewegend wie amüsant aus. Zum Charme dieser sympathischen Stehauf-Senioren gesellt sich die sensible Inszenierung der jungen Regisseurin, die ihre teilnehmende Beobachtung mit einer hübschen Prise Poesie verbindet.

Webseite: www.trockenschwimmen.de

D 2016
Regie und Buch: Susanne Kim
Darsteller: Erika, Sigrid, Eun-Sook, Manfred, Karin, Cevat, Monika, Hans-Jörg
Filmlänge: 77 Minuten
Verleih: eksystent Filmverleih
Kinostart: 4.5.2017

FILMKRITIK:

„Und ich werde schwimmen!“, frohlockt die alte Dame mit ihrer geblümten Badekappe am Beckenrand trotzig. Doch leichter gesagt, als getan. Solch ein Schwimmkurs in betagtem Alter ist kein Ponyhof, da kann der Lehrer noch so freundlich und geduldig sein. Es gilt alte Ängste zu überwinden, verdrängte Traumata zu verarbeiten. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr? Von wegen, es ist alles eine Frage der Einstellung! Fünf Frauen und zwei Männern zwischen 64 und 74 Jahren wagen gemeinsam den Sprung ins kalte Wasser und wollen mit einem zehntägigen Training in einem Leipziger Hallenbad beweisen, dass sie fortan den Kopf gekonnt über Wasser halten. Das Thema ist durchaus relevant: Gut eine Viertel der Deutschen kann nicht oder nur schlecht schwimmen, so ergab eine Umfrage im Auftrag der DLRG, bei den über 60-Jährigen ist es sogar die Hälfte.
 
„Schwimmen lernen heißt leben lernen“, sagt Monika, eine der Kursteilnehmerinnen. Mit ihrer bunt geblümten Badehaube sowie einem blauen Styropor-Viereck auf dem Rücken wagt sich die 74-Jährige vorsichtig in die ruhigen Fluten des Hallenbads. „Das Wasser ist ein Vorhang, den machst du auf und dann hast du einen Auftrieb von 10.000 Leuten", versucht Schwimmlehrer Hansjörg ihr Mut zu machen. Die resolute Dame freilich schätzt solch seichten Motivationssprüche nicht sonderlich. Hansjörg nimmt den ruppigen „Sei doch einfach ruhig“-Rüffel mit gekonnter Gelassenheit. Er ist im selben Alter wie seine Senioren-Schüler und weiß aus eigener Erfahrung, wie seine Generation bisweilen so tickt. Genau diese Befindlichkeiten sind das Objekt der dokumentarischen Begierde von Regisseurin Susanne Kim. Behutsam begleitet sie ihre glorreichen Sieben bei den ersten Schwimmversuchen und lässt sich aus deren Leben erzählen.  
 
„Ich hatte gar keine Zeit, unzufrieden zu sein“, blickt eine der Damen zurück. Nicht im Zorn, aber doch mit einer gewissen Wehmut. Früher war eben nicht alles besser, für Frauen schon gar nicht. „Ich hätte nie nein gesagt. Wenn mein Vater gesagt hat, das und das und das, hab ich gesagt: ja!“, erinnert sich eine der Seniorinnen an eine Jugend, die von Unterordnung und Pflichterfüllung geprägt war. Als Mann hatte man es leichter, konnte studieren oder eine Band gründen. Untiefen finden sich freilich auch in solchen Biografien: Manfred hat nie schwimmen gelernt, weil der Vater, der es ihm beibringen wollte, aus dem Krieg nicht mehr zurückkam. Und danach hatte die Mutter ganz andere Sorgen.   
 
Zwischen solch biografischem Plaudern und den planschenden Lerneinheiten streut die Doku surreale Bildsequenzen: Die traumatische Angst vor dem Ertrinken im Albtraum etwa, oder Wasserballett-Szenen aus Esther Williams-Filmen. Irgendwann tanzen die Alten selbst am Beckenrand oder strecken den Kindern, die sie von draußen belustigt beobachten, frech die Zunge heraus. Für kleine Turteleien unter den Kursteilnehmern bleibt ebenso Platz wie für kichernde Bettgespräche jener beiden alten Damen, die ihren Mädelsabend im gemeinsamen Hotelzimmer sichtlich genießen.
 
Mit ihren illustren Helden im Hallenbad hat Regisseurin Kim einen Glücksgriff getan. Deren lebenserfahrenen Geschichten von der Suche nach dem Glück hört man gerne zu. Bei diesen „talking heads“ mit genoppter Badekappe gelingt die Balance zwischen philosophischem Ernst und fröhlicher Komik. Zum guten Schluss hat die sympathische Seniorengruppe ihre Schwimmlektion gelernt. Eine Teilnehmerin, so meldet der Nachspann, hat mittlerweile sogar das „Seepferdchen“-Abzeichen gemacht. Für das dabei eingespielte „Die großen weißen Vögel“-Chanson von Ingrid Caven über den Tod des Matrosen auf hoher See besteht für diese Ex-Nichtschwimmer eigentlich kein Anlass mehr - aber den Song-Klassiker von Peer Raben hört man allemal immer wieder gern.
 
Dieter Oßwald