Turistas

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Von ihrem Mann an der Straße zurückgelassen, fährt Clara allein in einen chilenischen Nationalpark, in dem ihr eine merkwürdige Mischung aus Menschen, Tieren und Pflanzen begegnet. Fast ein Film ohne äußere Handlung ist „Turistas“ von Alicia Scherson, dem es auf sehr subtile Weise gelingt, dass Innere seiner Figuren anzudeuten. Starkes lateinamerikanisches Kino.

Webseite: www.kairosfilm.de

Chile 2009
Regie, Buch: Alicia Scherson
Darsteller: Aline Kuppenheim, Mercelo Alonso, Diego Noguera, Palma Pablo Ausensi, Viviana Herrera
Länge: 105 Minuten
Spanische Originalfassung mit deutschen Untertiteln
Verleih: Kairos
Kinostart: n.n.

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Ganz unspektakulär beginnt „Turistas“, der zweite Film der chilenischen Regisseurin Alicia Scherson, die vor einigen Jahren mit ihrem Debüt „Play“ Beachtung fand. Ein Paar sitzt im Auto – die 37jährige Clara (Aline Kuppenheim) und ihr Mann Joel (Mercelo Alonso) – auf dem Weg in die Ferien. Man plaudert über Banalitäten und ganz beiläufig kommt das Gespräch auf das Thema zu sprechen, dass die Beziehung offenbar belastet: Clara ist schwanger, plant aber das Kind gegen den Wunsch Joels abzutreiben. Ebenso beiläufig wie das Gespräch begann ist es vorbei, man macht Rast, Clara geht auf die Toilette und als sie wiederkommt, findet sie nur noch ihre Tasche an der Straße zurück. Allein macht sie sich auf den Weg in die nächste Stadt, trifft auf einen blondierten jungen Mann (Diego Noguera), der behauptet Ulrik zu heißen und norwegischer Medizinstudent zu sein und steht vor einer der vielen Entscheidungen, die der Film ihr und den anderen Figuren in den Weg stellt: Nimmt sie den Bus zurück nach Santiago oder fährt sie zusammen mit Ulrik in den Nationalpark? Der (absichtlich) verpasste Bus beantwortet zumindest diese Frage und so findet sich Clara bald inmitten der Natur wieder. Umgeben von uralten Bäumen, allerlei Krabbeltieren und etlichen merkwürdigen Menschen, die ähnlich wie sie auf der Suche sind.

Bevor sie zum Film kam studierte Regisseurin Alicia Scherson Biologie, was den geradezu anthropologischen Blick erklären mag, mit dem sie die Natur und damit natürlich auch die Menschen unter das Mikroskop der Kamera legt. Stilistisch führt dies zu impressionistischen Aufnahmen von Bäumen und Käfern, die in extremer Großaufnahme über Hände und Beine krabbeln, während auf der Tonspur ein breites Spektrum von Geräuschen – von vielfältigem Vogelgezwitscher, über Radioklänge und entfernte Explosionen einer Straßenbaustelle – wahrzunehmen ist.

Im Park begegnet Clara zwei Cousinen, die sich beide Susana nennen und mit ihren markanten schwarzen Haaren in dieser Umgebung wie Fremdkörper wirken. Wie alle Figuren des Films sind sie auf der Suche: nach Zielen, nach ihrer wahren Identität. So auch Orlando, ein Parkwächter, der einst als Sänger einen einzigen großen Hit hatte, sich nun aber zurückgezogen hat. Vom Glück, der Liebe und dem Leben erzählt dieses Lied, doch an die Melodie kann sich Clara lange Zeit partout nicht erinnern, ebenso wenig wie alle anderen Personen, die den Song kennen, aber dann doch nicht mehr wissen wie er ging. Das dieser hübsche Running Gag „Turistas“ unsubtilste Metapher für die Vergänglichkeit des menschlichen Tun ist, sagt viel über die subtile Qualität des Films. Alica Scherson folgt keiner wirklichen Geschichte, sie konfrontiert Carla mit vielfältigen Figuren und Situationen, die gleichermaßen realistisch wirken, dann aber wieder unwirklich, fast traumartig. Und genauso wenig wie es auf die ewigen Fragen der menschlichen Existenz klare, eindeutige Antworten gibt, genauso wenig suggeriert der Film eine Antwort für die Sinnsuche Claras. Wenn sie am Ende nach Santiago zurückkehrt, steht sie genauso wie zu Beginn des Films vor vielen ungelösten Fragen. Und doch folgt „Turistas“ keineswegs einer nihilistischen Weltsicht sondern schafft es mit seiner Subtilität, seinem skurrilen Humor die Welt und die Menschen so vielfältig zu zeigen wie das Leben selbst.

Michael Meyns

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