„Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ schrieb Theodor Adorno einst, eine Sentenz, die in Zeiten der unaufhaltsam auf die Menschen zukommenden Klimakatastrophe besondere Bedeutung erhält. Wie man den Anspruch, moralisch integer zu leben, sich aber auch selbst zu verwirklichen, in Einklang bringen kann, davon erzählt Laurens Pérol in seinem Regiedebüt „Üben Üben Üben.“
Üben Üben Üben (Å øve)
Norwegen, Deutschland 2023
Regie & Buch: Laurens Pérol
Darsteller: Kornelia Melsæter Fride Snipsøyr Holøs. Trine Eilertsen, Eva Bühler, Sebastian Bühler
Länge: 79 Minuten
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 5. September 2024
FILMKRITIK:
Die junge Trine (Kornelia Melsæter) ist Klimaaktivistin, träumt aber auch davon, mit ihrer Trompete ein Engagement am Opernhaus in Oslo zu bekommen. Als sie eines Tages eine Einladung zum Vorspielen erhält, steht sie vor einer schwierigen Entscheidung. Da sie auf den weit im Norden des Landes gelegenen Lofoten lebt, wäre es sinnvoll und praktisch, mit dem Flugzeug in die Hauptstadt zu fliegen. Doch fliegen kommt für Trine nicht in Frage und so macht sie sich auf den Weg, um per Anhalter zum Vorspielen zu kommen.
Auf dem Weg begegnen ihr unterschiedliche Menschen, die ihr einen Lift geben, bei denen sie übernachten kann, die sie aber auch mit der Sinnhaftigkeit ihrer Entscheidung konfrontieren. Angesichts des winzigen Anteils am CO² Ausstoß, für den Norwegen verantwortlich ist, wäre es doch eine lässliche Sünde, wenn sie, zumal aus wichtigen beruflichen Gründen, einmal fliegt.
Mit ihrem gelben Anorak und der Wollmütze erinnert Trine unweigerlich an die Klimaikone Greta Thunberg, die vor einigen Jahren vormachte, was es heißt, Konsequent zu agieren: Zur Generalversammlung der Vereinten Nationen nahm Thunberg nicht einfach einen Flug nach New York, sondern fuhr per Segelboot über den Atlantik. Kritik gab es zwar auch für diese Aktion, viel richtiger und integrer kann man sich aber kaum verhalten. Wie wichtig diese Konsequenz gerade für öffentliche Figuren ist, die von anderen Verzicht einfordern, kam dagegen der Grünen Außenministerin Annalena Baerbock Ende Juni nicht in den Sinn: Nach dem Besuch eines Spiels der Fußball-Europameisterschaft ließ sich Baerbock von Frankfurt nach Luxemburg fliegen, statt mit dem Auto zu fahren. Nicht nur eine jener besonders klimaschädlichen Kurzflüge, sondern auch noch spät abends, das Nachtflugverbot ignorierend. Die Kritik an der Ministerin war laut und hämisch, denn wer von anderen besondere Moral erwartet, wird selbst besonders kritisch betrachtet.
Interessante, sehr zeitgemäße Fragen also, die der aus Deutschland stammende, in Norwegen lebende Laurens Pérol in seinem Regiedebüt „Üben Üben Üben“ zu verhandeln sucht, allerdings auf eine erzählerisch etwas hölzerne Weise. Denn das es in Norwegen ein hervorragend ausgebautes öffentliches Verkehrssystem gibt, mit dem es problemlos möglich wäre, auch von den entfernten Lofoten per Bus und Bahn, also klimafreundlich, nach Oslo zu kommen, muss ignoriert werden, damit Trine sich auf eine tagelange Reise begeben kann. Auf der begegnet sie dann fast ausnehmend freundlichen Menschen, die viel Verständnis für sie haben, auch wenn sie ihre Konsequenz, die bisweilen wie Sturheit wirkt oft mit den Worten belächeln: Wenn du älter bist, wirst du es verstehen. Ein Satz, der Mitgliedern von Fridays for Future vermutlich längst zum Halse heraushängt, der allerdings auch jede Diskussion beendet. Lieber wartet Trine da auf den nächsten Lift, als sich so etwas anzuhören, was den Erkenntnisgewinn ihrer Reise eher gering werden lässt.
Gefilmt wie ein Dokumentarfilm, mit wackeliger Handkamera immer nahe an Trine dran, versucht Laurens Pérol ein relevantes, ethisch komplexes Thema anzugehen, verliert sich dabei aber in einer arg konstruierten Handlung, die zu wenig Raum für Überraschungen bietet, um wirklich zu überzeugen.
Michael Meyns