Die Pubertät an sich ist bereits eine aufwühlende, von widerstreitenden Gefühlen geprägte Zeit. Für die Gruppe Teenager-Mädchen, um die es in „Über uns von uns“ geht, existieren weitere Herausforderungen: Als Einwanderer in einem fremden Kulturkreis stehen sie Fragen der Selbstfindung, Anpassung und Identität gegenüber. „Über uns von uns“ widmet sich voller Neugier und mit aufrichtigem Interesse den Sorgen und Hoffnungen der Porträtierten, die sich in der ländlichen Provinz auf dem Weg zum Erwachsenwerden befinden.
Über uns von uns
Deutschland, Jordanien, Saudi-Arabien 2024
Regie: Rand Beiruty
Buch: Rand Beiruty
Verleih: Real Fiction
Länge: 92 Minuten
Kinostart: 10. Oktober 2024
FILMKRITIK:
In ihrem Dokumentarfilm „Über uns von uns“ folgt Rand Beiruty einer Gruppe weiblicher Heranwachsender in Eberswalde, einer Provinzstadt, etwa 50 Kilometer von Berlin entfernt. Sie alle leben als Migranten in Deutschland. Einige der Mädchen sind Roma, andere haben arabische oder kurdische Wurzeln. Und: Sie alle müssen die täglichen Herausforderungen des Lebens als meistern. Als pubertierende junge Menschen mit Ängsten und Hoffnungen, aber vor allem als Zugewanderte. Dazu gehört, Sprachbarrieren zu überwinden und sich in einer für sie fremden Kultur zu behaupten.
Man merkt schnell, dass die Porträtierten ein großes Vertrauensverhältnis zu Regisseurin Beiruty aufgebaut haben. Die Teenager gewähren der Filmemacherin intime Einblicke in ihren Alltag und ihre persönliche Lebensrealität. Beiruty stammt ursprünglich aus Jordanien und kann sich gut in ihre Protagonistinnen hineinversetzen, die sich ihren Platz im Leben erkämpfen und sich selbst sowie ihre Wünsche erst genau kennenlernen müssen.
Beiruty begleitet sie in den Schulunterricht und zur Zeugnisübergabe, in der Freizeit, beim Herumalbern mit Freunden und im häuslichen Umfeld mit der Familie. Ihre ungeschliffenen Handkamerabilder schaffen eine große Intimität und Nähe zu den Teenagern, die keine Scheu haben, von ihren Unsicherheiten und Sorgen zu berichten. Beiruty ist mit ihrer Kamera immer wieder kurz im Bild zu sehen und greift bisweilen aktiv ins Geschehen ein. Dies alles verleiht „Über uns von uns“ eine Aura der Unmittelbarkeit und unverstellten Authentizität. Aspekte und Eigenschaften, die gute, glaubhafte Dokumentarfilme auszeichnen. Filme, die das wahre Leben und echte Geschehnisse einfangen.
Wie geht es nach der Schule weiter und finde ich einen passenden Partner zur Familiengründung? Wie gelingt die kulturelle Anpassung an die neue Heimat, ohne die eigene Identität zu verleugnen? Und wie schaffe ich es, selbstbewusst zu meiner Religion und Herkunft zu stehen? Beiruty nimmt die Heranwachsenden und all die facettenreichen Themen und Fragen, die sie beschäftigen, ernst. Sie spiegeln sehr gut die Lebenswirklichkeit pubertierender weiblicher, vornehmlich muslimischer Einwanderer wider.
Ihre Pläne und Vorstellungen erforschen die Teenager in Workshops spielerisch und kreativ. Dazu zählen Wünsche für das spätere Beziehungs- und Familienleben ebenso wie berufliche Ziele. Eines der Mädchen möchte später Ärztin werden und anderen Menschen helfen, eine andere Polizistin, weil sie sich dann – auch dank Uniform und Waffe – sicher fühlt. In diesen Momenten wird klar, dass sich die bisherigen, nicht selten traumatischen Erlebnisse und Fluchterfahrungen einiger der Mädchen in ihren beruflichen Zielen widerspiegeln. Und in den tiefsinnigen, poetischen Songtexten, über die sie ihr Innerstes nach außen kehren.
Beiruty leitet diese Workshops, in denen die Porträtierten selbst zu Schauspielerinnen, Songschreibern, Dichterinnen und zu Regisseurinnen ihrer eigenen kleinen Traumsequenzen werden. Denn ganz am Ende verwandeln sich diese Träume in (filmische) Realität. In diesen kurzen, fantasievoll umgesetzten Sequenzen spielen die Mädchen Versionen ihrer selbst in einer Zukunft, in der alles gut wird und sich ihre Wünsche bewahrheiten.
Björn Schneider