Umrika

Zum Vergrößern klicken

Mit liebenswürdigem Humor erzählt Prashant Nair eine Geschichte von Hoffnungen und Illusionen: Ramas großer Bruder Udai hat das kleine indische Bergdorf verlassen, um in der Fremde sein Glück zu finden. Sein Ziel hieß „Umrika“ – das steht für Amerika – und nun versorgt er die Daheimgebliebenen mit Informationen in Form von Briefen und Fotos. Doch eines Tages bleiben die Briefe aus, und Rama macht sich auf die Suche nach Udai. Prashant Nair hat seine Story in die 80er Jahre verlegt, in eine Zeit vor Smartphones, Satelliten-TV und Internet. So ist eine leicht nostalgische, sehr witzige und vor allem unterhaltsame Komödie entstanden. Der Publikumshit des Sundance Film Festivals 2015!

Webseite: www.camino-film.com

Regie und Drehbuch: Prashant Nair
Kamera: Petra Korner
Darsteller: Suraj Sharma, Tony Revolori, Smita Tambe, Prateik Babbar, Adil Hussain,
Rajesh Tailang, Pramod Pathak, Sauraseni Maitra, Amit Sial
Länge: 98 Minuten
Verleih: Ascot Elite, Vertrieb: Camino
Kinostart: 19. November 2015
 

FILMKRITIK:

Das ganze Dorf steht kopf, als Udai in die Fremde zieht. Sein Ziel: Umrika – das gelobte Land. Udais jüngerer Bruder Rama findet es zwar nicht so toll, dass sich bei seinen Eltern immer nur alles um Udai dreht. Er wurde durch seine erfolgreiche Auswanderung zum Helden des Dorfes und besonders für die Mutter zur beinahe abgöttisch verehrten Lichtgestalt. Rama entwickelt sich zum größten Fan von Umrika und zum anerkannten Experten, denn er sammelt alles, was Udai nach Hause in die Heimat schickt. Vor allem die Fotos haben es ihm angetan. Sie zeigen den Alltag in New York, die überfüllten Straßen und die Wolkenkratzer, aber auch fremdartige Rituale, bei denen sich alle als Monster verkleiden oder riesige Puten aufessen. Rama erblickt auf diese Weise zum ersten Mal Schlittschuhläufer, ein Toilettenbecken oder Frauen beim Wrestling. Er ist schon fast erwachsen, als die Briefe ohne Vorankündigung ausbleiben, was seine Mutter tief erschüttert. Also setzt sich Rama auf die Spur seines Bruders und reist schließlich gemeinsam mit seinem besten Freund Lalu über die Berge Richtung Umrika. Sein einziger Hinweis auf Udais Verbleib ist eine Adresse in Mumbai.
 
Es geht um die Hoffnung auf ein besseres Leben weitab der Heimat, in einem fremden, reichen Land, das den Daheimgebliebenen wie das Paradies erscheinen muss – ein absolut aktuelles Thema. Aber es geht auch ein bisschen um Fernweh und um die Lust am Abenteuer. Ramas Eltern sind erfüllt von unbändigem Stolz auf ihren ältesten Sohn, der es in der Fremde zu etwas gebracht hat. Rama gewöhnt sich zwar früh daran, im Schatten des großen Bruders zu stehen, aber er möchte auch in dessen Fußstapfen treten. Wenn er schließlich loszieht, um Udai zu finden, dann will er damit nicht nur seiner Mutter helfen, sondern auch sich selbst. Er wünscht sich, mindestens so erfolgreich zu werden wie sein großes Vorbild Udai, und er ist bereit, beinahe alles dafür zu tun. Natürlich ist er auch neugierig darauf, was ihn erwartet. Er verlässt sein Dorf als naives Landei, aber schnell stellt sich heraus, wie flexibel und anpassungsfähig Rama sein kann.

Suraj Sharma spielt den Rama als ausgesprochen liebenswerten, pfiffigen Jungen. Trotz seiner Jugend ist Suraj Sharma bereits ein Star: Er spielte den jungen Pi in „The Life of Pi“. Auch Lalu (Tony Revolori) ist bekannt – als Liftboy in „The Grand Budapest Hotel“. Die beiden spielen sehr überzeugend die abenteuerlustigen, naiven Provinzjungs, die in der Großstadt plötzlich erwachsen werden müssen. Der Gegensatz zwischen dem ärmlichen Dorf in der Einöde mit seinen hinterwäldlerischen, aber liebenswürdigen Bewohnern und der trubeligen Weltstadt ist riesig. Auf der einen Seite steht die Idylle einer beinahe unbeschwerten Kindheit, in der allerdings jeder Schritt von der gesamten Umgebung beobachtet wird. Auf der anderen Seite steht die harsche Realität mit Geldnot, Jobsuche und dem Kontakt mit Kriminellen. Doch Raman lässt sich nicht beirren, denn er hat ein Ziel vor Augen: Er will nach Umrika und seinen Bruder finden, auch wenn das angebliche Schlaraffenland sich letztlich als Illusion darstellt.

Wie Prashant Nair mit gelassenem Humor seine Geschichte aus der Sicht des jungen Rama erzählt, ist nicht nur klug ausgedacht, sondern so stimmungsvoll und liebenswürdig wie ein besonders schönes Märchen. Die Missverständnisse über New York und Amerika sind drollig bis witzig und haben gelegentlich sogar einen hinterlistigen Kern, der die Wahrheit beinahe noch besser trifft als die Wirklichkeit. Trotz seines märchenhaften Charmes verharmlost der Film nichts und wirkt überzeugend realistisch. Laute, enge Slums, erpresserische Gangsterbanden, die furchtbare Armut im Gegensatz zum unermesslichen Reichtum – all die hässlichen Begleiterscheinungen der modernen Zivilisation werden offenbar. Allerdings scheint das Rama alles nicht besonders zu beeindrucken. Jedenfalls hat er keine große Lust, in sein Dorf zurückzukehren. Und eigentlich hat er von seinem Standpunkt aus gesehen sogar recht. Denn auch wenn das Paradies auf Erden vielleicht nicht existiert, so könnte es doch ein spannendes Abenteuer sein, danach zu suchen. Oder?
 
Gaby Sikorski