Una Primavera

Zum Vergrößern klicken

Im Persönlichen das Universelle finden, wird jungen Regisseuren oft geraten, eine Empfehlung, die Valentina Primavera in ihrem Debüt „Una Primavera“ bravourös einlöst. Sie beobachtet den Versuch ihrer Mutter, sich von ihrem gewalttätigen Mann zu lösen und erzählt damit von den verknöcherten patriarchalischen Strukturen Italiens.

Webseite: www.fugu-films.de

Dokumentation
Italien 2018
Regie: Valentina Primavera
Buch: Federico Neri & Valentina Primavera
Länge: 80 Minuten
Verleih: fugu
Kinostart: 2. Januar 2020

FILMKRITIK:

In Berlin beginnt der Abnabelungsprozess von Fiorella Primavera, der ein Versuch bleibt: Hier lebt ihre Tochter Valentina, die vielleicht auch aus dem Versuch heraus, sich aus der Enge der Familie zu lösen, ins Ausland gegangen ist. Über 60 Jahre alt ist die Mutter schon, doch erst jetzt hat sie es gewagt, sich von ihrem gewalttätigen Mann Bruno zu lösen, der Jahrzehnte lang Zentrum ihres Leben war.
 
Mit 19 haben sie geheiratet, schnell wurden drei Kinder geboren, war Fiorella fest und unausweichlich in der Rolle gefangen, die ihr Leben prägen sollte: Hausfrau und Mutter. Ein Leben außerhalb de Familie gab es offenbar kaum, was den Versuch Fiorellas, nun ein eigenständiges, unabhängiges Leben zu führen, so schwierig und schmerzhaft macht.
 
Nach ein paar Wochen in Berlin fährt sie nach Italien zurück, um die Scheidung einzureichen, nun begleitet von ihrer Tochter Valentina, die mit ihrer Kamera stets dabei ist. Bei alltäglichen Momenten, aber auch bei sehr persönlichen Momenten, die fast schon unerträglich intim sind. Nur unterbrochen von einigen Kommentaren, in denen sie ihr inniges, aber auch nicht immer einfaches Verhältnis zur Mutter beschreibt, beschränkt sich Valentina Primavera darauf, zu beobachten, zu zeigen und deckt damit nach und nach die tief sitzenden patriarchalischen Strukturen auf, von denen sicherlich nicht nur diese italienische Familie geprägt ist.
 
Dass die männlichen Mitglieder der Familie Brunos Verhalten rechtfertigen, mag noch wenig überraschen, dass dies auch Fiorellas weibliche Verwandtschaft tut, ist erschreckend: „Als sie auszog, wusste sie was sie tut, nun muss sie mit den Konsequenzen leben“ heißt es da einmal vollkommen, ohne Mitleid für die Einsamkeit, mit der Fiorella nun geschlagen ist. Denn außer den drei Kindern und dem gemeinsamen Haus, dass 30 Jahre abgezahlt werden musste und gleichzeitig Heimat und Gefängnis war, hatte und hat Fiorella nichts.
 
Und so kehrt sie bald in dieses Haus zurück, nachdem ein Richter urteilte, dass das in Trennung lebende Paar unterschiedliche Etagen bewohnen soll. Unterstützung hat eine Frau in dieser Gesellschaft offenbar von keiner Seite zu erwarten, kein Wunder also, dass da gar Mussolini zitiert wird: „Es ist besser, einen Tag als Löwe zu leben, als hundert Jahre ein Schaf zu sein“ wird der Faschistenführer zitiert, dessen Machismus offenbar immer noch als Vorbild taugt.
 
Eine oft schwer zu ertragende Zustandsbeschreibung einer Gesellschaft ist „Una Primavera“, eine Welt, in der Frauen sich den Männern unterzuordnen haben und dieses Verhalten zu weiten Teilen so verinnerlicht zu haben scheinen, dass selbst Frauen wenig Solidarität zu ihren eigenen Geschlechtsgenossinnen empfinden.
 
Michael Meyns