Undine

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Drei Filme lang begab sich Chritian Petzold in die deutsche Vergangenheit, nun kehrt er mit seinem neuen Film „Undine“ in die Gegenwart zurück. Hier im Berlin des 20. Jahrhunderts erzählt er eine Geschichte zwischen Mythologie und Realität, verwebt märchenhafte Motive mit einem skeptischen Blick auf eine Stadt, der ihre Geschichte eingeschrieben ist. So wie dem von Paula Beer und Franz Rogowski gespielten Liebespaar.

Website: undine.piffl-medien.de

Deutschland 2020
Regie & Buch: Christian Petzold
Darsteller: Paula Beer, Franz Rogowski, Maryam Zaare, Anne Ratte-Polle, Jakob Matschenz, Rafael Stachowiak
Länge: 92 Minuten
Verleih: Piffl
Kinostart neu: 2. Juli 2020

FILMKRITIK:

Hat Berlin eine Zukunft? Kann sich die deutsche Hauptstadt von der Last ihrer Geschichte befreien, die Vergangenheit hinter sich lassen und die Zukunft frei und offen gestalten? Und ist das überhaupt wünschenswert? Vor vielen Jahren hatte sich Christian Petzold in „Gespenster“ schon einmal dezidiert mit dem neuen Berlin beschäftigt, hatte am gerade neu erbauten Potsdamer Platz eine Geschichte zwischen Architekturfilm und Mythologie inszeniert. Damals war das Grimmsche Märchen „Das Totenhemd“ nur ganz unterschwellig zu erkennen, diesmal ist schon im Titel deutlich, dass er den Undine-Mythos als Basis für seine Geschichte gewählt hat. Paula Beer spielt diese Undine, die als Historikerin im Amt für Stadtentwicklung arbeitet.

Vor Modellen, die die Stadt in unterschiedlichen Stufen und Stadien ihrer Entwicklungen zeigen, hält sie Vorträge, die vom alten und neuen Berlin erzählen, vom geteilten Berlin, das nach der Zerstörung des Zweiten Weltkrieges wie zwei Fremdkörper existierte und auf unterschiedliche Weise, auch mit unterschiedlichen Architekturkonzepten wieder aufgebaut wurde. Nach der Einheit begann dann der schwierige und noch lange nicht vollendete Prozess des Zusammenwachsen, der Versuch, eine gemeinsame Geschichte zu finden. Ein wichtiger Aspekt dabei: Das Schließen von Baulücken, das Überschreiben der Vergangenheit mit Gegenwart und vielleicht auch Zukunft. Ein besonders prägnantestes Objekt: Ein Ort im Herzen der Stadt, nicht weit von der Stelle entfernt, an der einst der Ort gegründet wurde, der dann irgendwann Berlin wurde. Hier stand einst das Stadtschloss, dessen Ruinen nach dem Zweiten Weltkrieg gesprengt wurden, später vom Palast der Republik ersetzt, der dann in einem weiteren Akt der Geschichtszerstörung ebenfalls abgerissen wurde und nun wiederum durch das wiederaufgebaute Schloss, das Humboldt-Forum ersetzt wird.

Was hat das mit der Liebe zu tun? Nichts und Alles. Die Bezüge zwischen den Momenten in „Undine“, die wie eine Geschichtsstunde wirken, und der Hauptgeschichte, die von der Liebe zwischen Undine und Christoph (Franz Rogowski) handeln, stellt Petzold nicht aus, er deutet sie nur an. Ganz am Anfang ist Undine von einem anderen Mann verlassen worden, von Johannes (Jakob Matschenz), den sie warnte: Da er gesagt hat, dass er sie liebt, darf er Undine nicht verlassen, ansonsten wird sie ihn töten müssen. Doch dann platzt Christoph in ihr Leben, in einem Café, in dem ein Aquarium steht, das unter der Kraft der Emotionen zerbricht. Im Strom des Wassers liegen Undine und Christoph und sind fortan unzertrennlich.

Christoph arbeitet als Taucher, nimmt Undine einmal mit zu einem Wrack, an dem er schweißt. Einen Augenblick ist er abgelenkt, da schwimmt Undine mit einem riesigen Wels davon, ertrinkt fast und wird nur durch Christophs Kuss gerettet. Hin und her geht ihre Liebe, ein Moment der Eifersucht droht alles zu zerstören, doch am Ende ist die Liebe stärker als der Tod.

Oft hat Christian Petzold seine in der Realität angesiedelten Erzählungen mit einer Ebene des Fantastischen überzeichnet, doch noch nie standen die mythischen, fast märchenhaften Motive so sehr im Vordergrund wie hier. Immer rätselhafter werden die Ereignisse, Tote erwachen zum Leben, Liebende gehen ins Wasser, Liebesgeschichten enden, neue beginnen. Doch auch wenn das Vergangene durch Neues ersetzt ist, bleibt das Vergangene dem Neuen eingeschrieben. So geht es in der Liebe, so geht es in Berlin, einer Stadt, die sich im Lauf der Geschichte und besonders in dem letzten hundert Jahren immer wieder verändert hat, immer noch auf der Suche nach sich selbst ist und doch nie wirklich findet. Ob das auch für Christoph gilt, bleibt am Ende von „Undine“ offen, doch eins ist klar: Christian Petzold ist hier eine wunderbare Ode an Berlin und die Liebe gelungen.

Michael Meyns