Nicht nur, aber vor allem im ländlichen Raum der ostdeutschen Bundesländer finden sich etliche Orte wie das kleine Loitz in Mecklenburg-Vorpommern: Orte, in denen der Versuch, blühende Landschaften zu schaffen mehr als deutlich gescheitert ist, aus denen gerade jüngere Menschen wegziehen, die auszusterben drohen. Ob es Rettung geben kann, versucht Paul Raatz in seinem Dokumentarfilm „Unendlicher Raum“ herauszufinden.
Unendlicher Raum
Deutschland 2023
Regie: Paul Raatz
Dokumentarfilm
Länge: 95 Minuten
Verleih: déjà-vu film
Kinostart: 3. Oktober 2024
FILMKRITIK:
Bagger reißen baufällige Häuser ab, düstere Industrial-Klänge ertönen, Bewohner, die das Rentenalter schon längst erreicht haben, schauen dem Treiben zu. „Loitz ist eine Stadt die stirbt“ kann man in kleinen weißen Lettern auf der schwarzen Leinwand lesen. Allzu viel Hoffnung scheint es für die kleine Ortschaft in Mecklenburg-Vorpommern nicht zu geben, das zumindest wollen die ersten Momente von Paul Raatz Dokumentarfilm andeuten.
Kommt die Hoffnung vielleicht aus der Stadt, gar aus der Hauptstadt? Zu Beginn des von den Dreharbeiten beobachteten Zeitraums zieht das Berliner Pärchen Annika und Rolando in den Ort, mit hehren, aber auch diffusen Plänen. Annika sei ein Organisationstalent beschreibt der Venezolaner Rolando seine Partnerin, die ihn als herzlich und entspannt bezeichnet. Vielleicht nicht die schlechtesten Voraussetzungen, um in einem für beide Fremden ein Projekt zu starten, einen Begegnungsraum zu eröffnen, der die Menschen im Dorf zusammenbringen soll.
Wie genau das vonstatten gehen soll bleibt zwar offen, aber der Gedanke zählt. Zunächst sieht sich das Paar aber einer schwierigen Wohnsituation gegenüber, das Haus, das ihnen zugewiesen wurde, erweist sich als deutlich verfallener als gedacht, aber im Lauf der Zeit richten sich Annika und Rolando häuslich ein.
Im Laufe des Films gerät das Berliner Paar zunehmend in den Hintergrund, so als wären sie ein Beispiel für typische Dorffremde, deren hehre Pläne an der Realität, aber auch eigenen Fehleinschätzungen scheitern. Aber vielleicht macht das auch gar nichts, denn im Dorf tut sich auch so einiges. Ein Musikfestival soll auf die Beine gestellt werden, vor allem aber der umtriebige Klangkünstler Peter Tucholski zeigt, wie aus Eigeninitiative und Engagement etwas entstehen kann.
Wie kleinteilig aber auch Bürgernah das Leben in einer kleinen Ortschaft von zuletzt nur 4200 Einwohnern abläuft, zeigt sich in den zahlreichen Bürgerversammlungen. Jeder der Lust hat und sich am Leben im Ort beteiligen will kann sich hier zu Wort melden und findet Gehör. Eine Form der Selbstverwaltung, die allerdings nicht dazu führte, dass die AFD hier weniger präsent ist: Bei den letzten Kommunalwahlen im Juni 2024 erhielt die Rechtsaußen Partei 21,7% der Stimmen, allerdings deutlich weniger als die CDU. Während die Ampelparteien gar nicht erst auftauchen erhielt interessanterweise die Fraktion Unabhängige Loitzer 21,4% der Stimmen, auch ein Zeichen dafür, dass die Loitzer ihr Schicksal gerne selbst in die Hände nehmen.
So entwickelt sich „Unendlicher Raum“ trotz des Anfangs fast apokalyptischen Tons doch noch zu einem Dokumentarfilm, der Hoffnung macht und zeigt, wie auch in scheinbar abgehängten Regionen Neues entstehen kann.
Michael Meyns