Union – die besten aller Tage

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Sie werden „Die Eisernen“ genannt – und sprechen von sich selbst als „die Unioner“: Die zahlreichen Fans des traditionsreichen Berliner Fußballclubs bilden zusammen mit der Mannschaft und der Clubverwaltung des FC Union Berlin eine verschworene Gemeinschaft.
Wie dieses Zusammenspiel in der Realität funktioniert, zeigt Annekatrin Hendel („Vaterlandsverräter“) in ihrem unterhaltsamen und visuell gelungenen Dokumentarfilm, der mit Schwung, Humor und Leidenschaft nicht nur das Herz der Fußballfans erfreut, sondern mit seiner explizit gelungenen, sehr coolen visuellen Gestaltung auch die Cineastinnen und Cineasten erfreuen wird.

Dokumentarfilm
Regie: Annekatrin Hendel
Buch: Annekatrin Hendel, Jörg Hauschild
Kamera: Martin Farkas, Roman Schauerte und Annekatrin Hendel
Musik: FLAKE
Mit: Dirk Zingler, Christian Arbeit, Stefanie Vogler, Katharina Brendel, Christopher Trimmel, Susanne Kopplin
Länge: 97 min
Verleih: Weltkino
Start: 04.04.2024

FILMKRITIK:

Schon der Beginn ist außergewöhnlich, denn hier wird keineswegs die gesamte Vereinsgeschichte erzählt, sondern vor allem ein besonderer Abschnitt, die Saison 2022/23, als sich der 1. FC Union Berlin für die Champions League qualifizierte. Am Anfang steht der letzte Spieltag 2023 – und die dramatische Entwicklung im Stadion. Von dort geht es zurück ins Jahr 2021, bis man wieder im Mai 2023 angekommen ist.
Mal abgesehen davon, dass das Erreichen der Königsklasse eine unglaubliche Leistung ist für einen Fußballverein, der bis heute einen ehrenamtlichen Präsidenten hat und eine der kleinsten Arenen der 1. Fußball-Bundesliga, das legendäre Stadion An der Alten Försterei … der Berliner Traditionsverein aus dem Osten der Hauptstadt wurde viele Jahre lang gar nicht so recht ernstgenommen in Fußball-Deutschland. Das änderte sich erst ein wenig, als Union den Aufstieg in die 1. Bundeliga schaffte und im zweiten Jahr die Teilnahme an den Spielen zur UEFA Conference League. Trotz aller Erfolge stand Union im Schatten des (selbst ernannten) Hauptstadt-Clubs Hertha BSC, dessen Bundesligageschichte nicht unbedingt vorbildlich zu nennen ist. Inzwischen ist Hertha BSC abgestiegen und Union ist der einzige Vertreter Berlins in der 1. Bundesliga. Das Geheimnis des Vereins – oder eines der Geheimnisse seines Erfolges – könnte die Kontinuität sein. Und das ist außergewöhnlich für einen Profi-Club. Die meisten Team-Mitglieder der Organisation sind teilweise seit vielen Jahren im Verein tätig, nicht zuletzt der Präsident selbst. Vermutlich spielt auch die herzliche Atmosphäre eine wichtige Rolle dafür, dass so viele Beteiligte an Union hängen. Diese unvergleichliche Atmosphäre von Idealismus und Leidenschaft weht von der Leinwand herunter und macht den Film zu einem ganz unerwartet emotionalen Kinoerlebnis.
Doch Annekatrin Hendels Dokumentation ist kein Fußballfilm, und es geht hier nur am Rande um die Spieler, um den langjährigen Trainer Urs Fischer, der inzwischen nicht mehr für den Verein tätig ist, und um die Spiele, obwohl der Sport natürlich eine wichtige Rolle spielt.
Henkels Film ist vielmehr eine Art Langzeitbeobachtung von lauter liebenswürdigen und bis unter die Haarspitzen motivierten Wahnsinnigen, die mit viel Power, Engagement und Aufwand den Apparat „FC Union“ am Laufen halten. So steht folglich auch nicht die erfolgreiche Mannschaft im Mittelpunkt, sondern das Team rund um den Präsidenten Dirk Zingler. Sie alle sind mit Herzblut und Leidenschaft dabei und haben offenbar ihr gesamtes Leben dem Verein gewidmet. Viele starke Frauen sind dabei. Da ist z. B. Stefanie Vogler. Über die Vertriebskommunikation gestaltet sie die Außendarstellung des Vereins mit – von der Zusammenarbeit mit Sponsoren bis zum Mannschaftstrikot. Katharina Brendel leitet die Abteilung für Sportkommunikation und ist für sämtliche Interviews und Medientermine der Spieler zuständig. Und da ist auch Susanne Kopplin, die als Mannschaftsleiterin die Profis rundum betreut – eine „gute Fee“, die sich in der Männerdomäne Fußball behauptet, weil sie einfach alles kann und alles tut, um ihrer Mannschaft den Kopf freizuhalten. Und schließlich, last but not least, Christian Arbeit. Als Stadionsprecher und Einheizer kennen ihn viele, aber nur wenige wissen, dass er die Kommunikationsabteilung bei Union leitet: Er ist nicht nur ein Chefdiplomat, der zwischen der Vereinsspitze und den Fans vermitteln kann, sondern auch ein Freund des offenen Wortes. Mit diesen und vielen weiteren Akteurinnen und Akteuren zeichnet Annekatrin Hendel anhand des Saisonverlaufs 2022/2023 das sehr lebendige Bild eines Fußballvereins im Aufwind. Dabei geht es aber nicht nur um Erfolg oder Niederlage, es geht auch um die Identität des Clubs, um viel Geld und um das Bild in der Öffentlichkeit.
Ein ebenso geniales wie wirkungsvolles visuelles Konzept steht dahinter, das durch den tollen Schnitt (Jörg Hauschild) noch unterstützt wird: Kurze Szenen, unterbrochen von schicken Animationen, zeigen die authentischen Situationen, im Büro oder auf dem Platz, in die sich Annekatrin Hendel auch mal einmischt – sie ist im wahrsten Sinne des Wortes mittendrin statt nur dabei. Und diese Situationen haben es in sich: Da fliegen schon mal die Fetzen, es wird heftig diskutiert, aber über allem steht bei allen spürbar die Liebe zu ihrem Verein, der von Erfolg zu Erfolg eilt. Ein paar Spielkommentare gibt es ebenfalls. Sie sind ebenso kundig wie witzig und kommen vom Union-Podcast „Taktik & Suff“ – eine schöne Idee, die zudem noch einmal die Nähe des Vereins zu den Fans dokumentiert … und die Nähe zu Berlin, die Verbundenheit mit der Stadt. Denn „Union – die besten aller Tage“ ist auch ein feiner Berlin-Film, der abseits von den üblichen Sehenswürdigkeiten und Touristen-Hotspots in allerschönstem Berlinerisch von der Stadt und von ihren Menschen erzählt und von einem kleinen Verein aus einem Außenbezirk, der plötzlich und unerwartet zu Ruhm und Ehren kommt.

Gaby Sikorski