Universal Language

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Autofiktion ist derzeit ein aktueller Trend nicht nur in der modernen Literatur, sondern auch im Kino. Seit Steven Spielberg in „Die Fablemans“ seine eigene Biographie mit einer erfundenen Familiengeschichte verknüpft hat, besinnen sich immer mehr Autorenfilmer auf die Möglichkeit, Autobiographisches und Fiktionales zu verbinden. Aber nicht jedem gelingt es so meisterlich wie Matthew Rankin in seiner versponnenen Arthouse-Komödie „Universal Language“, in der er nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch seine Bewunderung für Wes Anderson und den poetischen Realismus des iranischen Kinos zu einem eigenen, sehr persönlichen und hochgradig unterhaltsamen Film-Cocktail zusammenmixt.

Webseite: https://rapideyemovies.de/universal-language/

Kanada 2024
Regie: Matthew Rankin
Drehbuch: Matthew Rankin, Pirouz Nemati, Ila Firouzabadi
Mitwirkende: Rojina Esmaeili, Saba Vahedyousefi, Sobhan Javadi, Pirouz Nemati, Matthew Rankin, Mani Soleymanlou, Danielle Fichaud, Bahram Nabatian, Ila Fiouzabadi, Hemela Pourafzal, Dara Najmabadi
Kamera: Isabelle Staschtschenko
Musik: Amir Amiri, Christophe Lamarche-Ledoux

Länge: 89 Minuten
Verleih: Rapid Eye Movies
Start: 23. Januar 2025

Der Grundschullehrer Mr. Bilodeau erscheint ein wenig zu spät zum Unterricht. Doch anstatt das Chaos hinzunehmen, mit dem seine Schüler seine Abwesenheit ausgenutzt haben, fragt er sie aufgebracht nach ihren Zukunftsplänen. Mit den Berufswünschen Eselszüchter, Fremdenführer, Modefotograf und Komiker (von einem in Groucho-Marx-Maske erschienenen Schüler geäußert) ist er ebenso unzufrieden wie mit der Erklärung seiner stark kurzsichtigen Schülerin Omid, warum sie ohne Brille zur Schule gekommen ist: Die habe ihr ein Truthahn gestohlen. Wutentbrannt verlässt er Schule und Stadt, wobei er im Zug auf den ehemaligen Regierungsbeamten Matthew Rankin trifft – und natürlich ist das der Filmemacher persönlich. Er ist auf dem Weg nach Winnipeg, um nach langen Jahre ohne Kontakt endlich seine Mutter zu besuchen. Einige von Bilodeaus Schülern versuchen zwischenzeitlich, an einen im Eis eingefrorenen Geldschein zu kommen, um Omids neue Brille zu bezahlen. Und dann ist da noch dieser Aktenkoffer, den sein Besitzer vor mehreren Jahrzehnten an einer Bushaltestelle verloren hat, und der dort immer noch unangetastet herumliegt. Falls der Eigentümer doch noch zurückkommt…

An diesem – prinzipiell zum Scheitern verurteilten – Versuch einer inhaltlichen Beschreibung von „Universal Language“ lässt sich schon eines klar erkennen: Der Film erzählt nicht eine Geschichte, sondern mehrere, um nicht zu sagen: viele, die sich gelegentlich berühren oder kreuzen, oft aber nur nebeneinander her mäandern und doch am Ende zusammen ein stimmiges Bild ergeben. Offenbar war genau das Rankins Plan: Er wollte keine klassische Kinogeschichte mit Exposition, Plotpoints und Schluss entwerfen, sondern eine Welt erschaffen, in der gerade die unscheinbaren Dinge ihre Bedeutung haben und die Nebensächlichkeiten die Verbindungen zwischen den scheinbar und wirklich wichtigen Details herstellen. Das erinnert dann ebenso an iranische Filme wie die leicht verschnörkelte, manchmal episodenhafte Erzählweise.

Der Schlüssel zum Verständnis der Geschichten ist schließlich die Darstellung der kanadischen Stadt Winnipeg, die Rankin in seinem Film als Heimatstadt und Sehnsuchtsort porträtiert. Rankins filmisches Winnipeg hat allerdings mit der real existierenden Stadt wenig bis gar nichts zu tun. Das Winnipeg in „Universal Language“ ist eine Art iranische Enklave, in der die Menschen ganz selbstverständlich Farsi miteinander sprechen, in der Reklame und Firmenschilder in arabischer Schrift verfasst sind und – Achtung! – in der das Miteinander der verschiedenen Kulturen tatsächlich eine Selbstverständlichkeit ist, um die kein Aufhebens gemacht werden muss.

Rankins lässt deutlich erkennen, welchen Einfluss sein Landsmann, Guy Maddin, der ebenfalls aus Winnipeg kommt, noch mehr aber Wes Anderson auf seinen Film hatte. Trotzdem ist ihm ein sehr eigenes, sehr persönliches, skurriles und komisches Meisterwerk gelungen. „Universal Language“ ist nicht nur höchst vergnüglich, sondern dabei auch allerfeinstes Arthousekino, so dass man sich wünschen könnte, der Film möge doch bitte noch länger dauern als 89 Minuten. Trotz der disparaten Erzählweise bleibt der Film spannend, denn es gibt jede Menge unerwartete Wendungen zwischen und mit den zahlreichen Handlungssträngen. Eine Komödie also, die sich mehr auf den leisen Humor verlässt als auf große Lachanfälle. Am Ende steht ein glückliches Publikum auf, versorgt mit merkwürdigen und wunderbaren Bildern und Geschichten ... und mit jeder Menge Gedankenfutter für die nächsten Tage, Wochen und Monate.

 

Gaby Sikorski