Unser Boden, unser Erbe

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Wie lange kann die Erde den Menschen noch ernähren? – Diese Frage stellt sich nicht nur aufgrund des Zustands der allgemeinen Ressourcen, sondern sie ist durchaus wörtlich gemeint und bezieht sich auf die dünne Krume, die aus Landflächen eine produktive Basis für den Anbau von Feldfrüchten macht. Marc Uhlig zeigt in seinem aufschlussreichen Kinodebüt die aktuelle Bedrohung der Landwirtschaft, aber auch Lösungsmöglichkeiten. Dabei informiert und klärt er auf, ohne zu belehren. Und er konzentriert sich auf die Situation in Deutschland, wo die Zerstörung von fruchtbaren Böden immer weiter voranschreitet.

Webseiten: http://unser-erbe.de/
https://boden.wfilm.de/

Dokumentarfilm
Deutschland 2019
Drehbuch und Regie: Marc Uhlig
Kamera: Michael Arnieri, Marc Uhlig
Musik: Andreas Nesic
Länge: 79 Minuten
Verleih: W-film
Kinostart: 8. Oktober 2020

FILMKRITIK:

Seit Jahren werden die Rufe nach einer „Agrarwende“ in Deutschland immer lauter. Doch was ist damit gemeint? – Nicht nur die Tierhaltung oder die Frage „Bio oder nicht?“ gehört dazu, sondern auch ein anderes, vielleicht sogar wichtigeres Thema: das Ackerland. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern steht Deutschland nicht besonders gut da, was den Umgang mit dem Boden betrifft: Täglich werden allein ca. 70 Hektar Fläche der Landwirtschaft entzogen – durch Versiegelung oder Bebauung. Weltweit werden sogar mehr als 10 Millionen Hektar fruchtbarer Boden pro Jahr vernichtet. Vorhandene Böden sind durch chemische Düngemittel, Monokultur und Erosion ohnehin schon gefährdet bis geschädigt. Trotz vieler Informationskampagnen, nicht nur von Umweltaktivisten, wurden die Hilferufe bisher kaum gehört. Nach einigen Quellen wird die dünne Humusschicht der Erde die Menschheit nur noch 60 Jahre ernähren können. Dieses Problem und mögliche Lösungen behandelt der Dokumentarfilm von Marc Uhlig, der wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungen mit Bekenntnissen und Meinungen, z. B. von betroffenen Landwirten, kombiniert. Auch grundsätzliche philosophische Betrachtungen finden ihren Platz. So entstand eine recht abwechslungsreiche Mischung aus Lehr- und Appellfilm, die für eine klassische Dokumentation vielleicht etwas zu leidenschaftlich geraten ist. Die Emotionalisierung bekommt dem Thema insgesamt allerdings recht gut. Manches wirkt ein wenig angestrengt, vielleicht auch aufgrund der gelegentlich etwas übertrieben dramatisierenden Elektroklänge.

Abgesehen davon, dass sich nur wenige Menschen hierzulande überhaupt damit beschäftigen, wie groß ein Hektar ist und auf welcher Art von Boden der Hafer für ihr Müsli am besten wächst, gibt es noch viele andere Wissensdefizite im Zusammenhang mit dem Anbau von Feldfrüchten. Marc Uhlig sorgt daher erst einmal für Informationen. Zunächst geht es um den Humus. Ein Experte für Bodenfruchtbarkeit erklärt die Zusammenhänge zwischen den Myriaden von Mikroorganismen in einer Handvoll Ackerboden und der Fähigkeit des Bodens, Flüssigkeit und CO2 aufzunehmen. Makro-Aufnahmen von gesundem Ackerland zeigen das Gewimmel auf und unter der Erde, das ein gutes Zeichen ist. In der Folge wird weiter informiert: Wie lässt sich Landwirtschaft betreiben, ohne den Boden zu schädigen? Welche Alternativen gibt es? Im Mittelpunkt stehen dabei der Gemüsebauer Achim Heitmann und sein Bio-Zwiebelfeld – eine Art Hochrisiko-Patient auf der Gemüsestation. Marco Uhlig findet viele Gesprächspartner aus der Landwirtschaft und aus der Forschung. Die Köchin, Landwirtin und Aktivistin Sarah Wiener gehört dazu, aber auch der Wissenschaftler und Philosoph Ernst-Ulrich von Weizsäcker, der seine These von der vollen und der leeren Welt vorträgt: Das gesamte kulturelle Erbe der Menschen entstand in einer leeren Welt: Religion, Politik, Philosophie – doch wir leben in einer vollen Welt, für die es keinen Plan gibt. Deshalb muss ganz neu gedacht werden … Eine ganz neue Denkweise für eine Welt der endlichen Ressourcen? – Warum nicht? Wenn’s hilft!

Einmal wundert sich der Landwirt Achim Heitmann darüber, dass die Leute in der Stadt keine Existenzangst haben. Schließlich sind sie vollkommen abhängig davon, dass etwas für sie angebaut wird. Tatsächlich scheint es, als ob sich Otto Normalverbraucher und Erika Mustermann in der Regel nicht darum kümmern, wie ihre Nahrungsmittel produziert werden und welche Arbeit und Mühen damit verbunden sind. Der Konsument heißt so, weil er konsumiert, und das leider sehr oft, ohne das Produkt zu würdigen. Hauptsache, der Preis stimmt. Marc Uhlig zeigt die Zusammenhänge zwischen Kosten und Nutzen, zwischen Qualität und Aufwand, und er sensibilisiert für eine größere gesellschaftliche Unterstützung der Landwirtschaft. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Veränderungen scheint sich überall zu verstärken. Auch dieser Film ist ein Zeichen dafür – und ein Mut machendes Signal für einen Paradigmenwechsel.

Gaby Sikorski