In einer besonders schwierigen Situation befinden sich die Geschwister von behinderten Kindern, die aus nachvollziehbaren, aber dennoch schmerzhaften Gründen etwas im Schatten stehen. Um sie geht es in Frauke Lodders Dokumentation „Unzertrennlich“, die mit großer Behutsamkeit beobachtet und dadurch allen Seiten gerecht wird.
Webseite: mindjazz-pictures.de
Dokumentation
Deutschland 2018
Regie: Frauke Lodders
Länge: 91 Minuten
Verleih: mindjazz Pictures
Kinostart: 17. Januar 2019
FILMKRITIK:
Eymen, Eray, Gustaf, Max und Svea heißen die fünf gesunden Geschwister, die im Mittelpunkt von Frauke Lodders Dokumentation „Unzertrennlich - Leben mit behinderten oder lebensverkürzt erkrankten Geschwistern“ stehen. Und das - im Mittelpunkt stehen - ist eine Seltenheit in ihrem Leben, denn seit dem Moment, an dem ihre Mutter ein behindertes Geschwisterkind zur Welt brachte, hat sich die Rolle innerhalb der Familie grundlegend verändert.
Vorher waren sie die kleinen Prinzen oder Prinzessinnen, standen im Mittelpunkt, waren das Zentrum der Aufmerksamkeit der Eltern, vor allem der Mütter, doch danach war alles anders. Aus offensichtlichen Gründen verlangt ein behindertes Kind viel mehr Aufmerksamkeit als ein gesundes, von dem die Familie aber auch die Gesellschaft ganz selbstverständlich zu erwarten scheint, sich einzuordnen, sich unterzuordnen. Und das oft in einer Phase, in der die Kinder besonders sensibel sind, in der sie ohnehin um ihren Platz in der Welt und der Familie kämpfen, dabei sind, sich selbst zu finden.
Vier Familien hat Frauke Lodders für ihren Film ein gutes Jahr lang begleitet und immer wieder im Alltag gefilmt. Dazu kommen lange Interviews mit den Eltern, wobei meist die Mütter zu Wort kommen und den Geschwistern selbst, die allesamt bemerkenswert reflektiert und differenziert über ihre besondere Rolle berichten. Selbstverständlich ist das sicher nicht, ob es der Norm entspricht ist schwer zu sagen, klar ist nur, dass diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen sich augenscheinlich gut mit ihrer speziellen Rolle abgefunden haben, ja mehr noch: Das sie meist an ihr gewachsen sind.
„Auf jeden Fall ist klar, das Gustaf kein Arschloch wird“ sagt da etwa eine Mutter scherzhaft über ihren Sohn, der vielleicht elf, zwölf Jahre alt ist und sich rührend um seine behinderte Schwester kümmert. Von Anfang an hat er offenbar seine besondere Rolle angenommen, akzeptiert, dass sich seine Mutter nun verstärkt um seine Schwester kümmert, dass er nicht mehr an erster Stelle steht. Doch statt sich über den Verlust an Aufmerksamkeit zu beschweren, hat Gustaf ein Maß an Toleranz und Respekt für Menschen, die auf welche Weise auch immer anders sind gelernt, etwas, das auch Erwachsene oft nicht haben.
Doch nicht alles ist so einfach, auch nachdenkliche Worte hört man, von der älteren Svea etwa, der es im Rückblick offenbar nicht immer leichtfiel, sich mit den besonderen Umständen eines Lebens mit einem behinderten Geschwisterkind abzufinden. Doch verbittert ist sie nicht, eher nachdenklich, so wie alle Personen, die hier auftreten. Es ist die große Stärke von Lodders Film, auch solchen Gedanken Raum zu geben, die ganze Komplexität dieser für alle Beteiligten schwierigen Situation differenziert darzustellen, ohne einer Seite Vorwürfe zu machen oder gar Versäumnisse zu unterstellen. Zumindest die Protagonisten in ihrem Film scheinen an ihrer besonderen Situation sogar gewachsen zu sein, was wohl nicht automatisch zu erwarten, möglicherweise aber auch keine Ausnahme ist.
Michael Meyns