Valeria is getting married

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Die Geschichte eines Deals: Raus aus der Armut, rein in die Ehe. Was für Christina aus der Ukraine geklappt hat, soll nun auch für ihre Schwester Valeria funktionieren: ein sorgenfreies Leben im Wohlstand.
Das Drama der israelischen Filmemacherin Michal Vinik ist ein schönes Beispiel dafür, dass für einen starken, intensiven Film nicht unbedingt viel Aufwand notwendig ist. Das Ergebnis ist ein beeindruckender Film mit zwei tollen Hauptdarstellerinnen in einem Kammerspiel um vier Personen, die durch unsichtbare Zwänge miteinander verbunden sind.

Webseite: https://www.wfilm.de/valeria-is-getting-married/

Valeria Mithatenet
Israel, Ukraine 2022
Regie: Michal Vinik
Drehbuch: Michal Vinik, Guy Raz
Darsteller: Lena Fraifeld, Dasha Tvoronovich, Yakov Zaada Daniel, Avraham Shalom Levi
Musik: Daphna Keenan
Kamera: Guy Raz

Länge: 76 Minuten
Verleih: W-film
Kinostart: 25. Mai 2023

FILMKRITIK:

Christina (Lena Fraifeld) hat es geschafft: Sie ist der Armut und der Ungewissheit in der Ukraine entkommen und schon seit ein paar Jahren mit Michael verheiratet, den sie über eine Internetplattform kennengelernt hat. Inzwischen spricht Christina ganz gut hebräisch und hat einen Job in einem Kosmetiksalon. Sie ist auf dem Weg, israelische Staatsbürgerin zu werden und den jüdischen Glauben anzunehmen. Es geht ihr gut – und dasselbe wünscht sie sich für ihre kleine Schwester Valeria (Dasha Tvoronovich). Michael hat für sie die Bekanntschaft mit Eytan arrangiert. Die beiden haben schon mehrmals via Skype gesprochen, und nun ist es so weit: Valeria ist in Tel Aviv gelandet. Alle fiebern dem Treffen entgegen. Doch das verläuft ganz anders als geplant, und plötzlich ist nicht nur Valerias geplante Hochzeit in Gefahr.

Mit viel Sensibilität und mit der Intensität einer beobachtenden Kamera begleitet Michal Vinik ihre beiden Hauptdarstellerinnen durch eine kammerspielartige Handlung, in der sich schon nach kurzer Zeit die Machtverhältnisse zwischen den Personen entfalten: Nur auf den ersten Blick ist Christina eine glückliche Ehefrau. Sie versteht sich gut mit ihrem Mann und kommt mit seinen Eigenheiten zurecht, wobei sie sich auch auf ihre Schwiegermutter verlassen kann. Michael verhält sich ihr gegenüber liebenswürdig und höflich, doch bei dem Deal mit Eytan geht es für ihn um mehrere Tausend Dollar, und beim Geld endet bekanntlich die Freundschaft. Das Geld ist für ihn eindeutig wichtiger als Valeria selbst – sie ist lediglich das Handelsobjekt. Bald wird klar, dass Michael Christina für Valerias Verhalten verantwortlich macht. Denn Valeria hat sich das alles ganz anders vorgestellt. Sie wünscht sich Liebe und Romantik, in Christinas Augen ist das naiv. Und als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, macht der schwer verliebte Eytan alles falsch, was man nur falsch machen kann. Er hat schon alles für den Einzug seiner Braut vorbereitet und überhäuft Valeria mit Geschenken. Aber Valeria fällt ihm keineswegs dafür um den Hals, sondern sie schließt sich stattdessen im Badezimmer ein.

Michal Vinik verzichtet auf jede Form von Schuldzuweisungen. Die beiden Männer zeigt sie als freundliche, aber dennoch in ihren Rollen gefangene Persönlichkeiten. Macht über Frauen zu haben, ist für beide selbstverständlich, ebenso wie für Christina die Abhängigkeit von ihrem Mann selbstverständlich ist und für Eytan die Einhaltung seines Vertrages. Valeria, die manchmal sehr kindlich wirkt, bringt mit ihrer Naivität und ihrem unschuldigen Glauben an die romantische Liebe das gesamte Konstrukt ins Wanken. Auf Valerias Frage, ob sie Michael liebt, antwortet sie: „Es ist nicht wie im Kino. Ich habe hier alles, was ich brauche.“ Für sie ist wichtig, dass Eytan ein guter Fang ist. Hauptsache, er trinkt nicht. Ansonsten sind für sie nur drei Fragen wichtig: Was arbeitet er? Hat er Geld? Wie alt ist er? Doch das Verhalten der beiden Männer angesichts von Valerias Zaudern, das sich bis zur Abwehr steigert, bringt auch Christinas Rolle als brave Ehefrau in Gefahr. Hin- und hergerissen zwischen ihrer Schwester und ihrem Ehemann muss Christina eine Entscheidung darüber treffen, auf wessen Seite sie steht. Einzig Eytan bleibt immer derselbe. Er liebt Valeria und will keine andere Frau.

In sparsamen Dialogen und mit vielen kleinen Gesten und Blicken erzählt Michal Vinik ihre Geschichte und demontiert das Bild der Ehe als Vertrag zwischen zwei gleichberechtigten Partnern. Mit Unterstützung ihrer beiden herausragenden Hauptdarstellerinnen Lena Fraifeld und Dasha Tvoronovich, aber auch dank der starken Leistungen von Yakov Zaada Daniel und Avraham Shalom Levi in den Rollen der beiden Männer entwirft sie, ohne über Sex zu sprechen, das Bild des Zusammenlebens zweier Menschen als eine auf klaren Machtstrukturen ausgerichtete Beziehung, in der es einen Gewinner und einen Verlierer gibt. Vinik klagt nicht an, und sie thematisiert auch nicht die Tatsache, wie viele Frauen sich weltweit selbst verkaufen, um der Armut und dem Krieg zu entkommen, wobei der Film vor dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs gedreht wurde. Doch sie stellt indirekt einige wichtige Fragen, wie zum Beispiel: Hat letztlich derjenige recht, der die Rechnungen bezahlt? Aber auch: Was ist Freiheit? Was bedeutet sie in einer Beziehung?

 

Gaby Sikorski