Verfehlung

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Im Jahr 2010 wurden in Deutschland immer mehr Fälle bekannt, in denen katholische Geistliche meist jugendliche Menschen, Mädchen wie Jungen, sexuell bedrängt oder gar missbraucht hatten. Die Kirche hatte ihren nächsten Skandal, nachdem ähnliche Zustände bereits in den USA und Irland ans Licht gekommen waren. Debüt-Regisseur Gerd Schneider bricht den globalen Skandal herunter und macht daraus ein konzentriertes Gewissensdrama mit einem großartigen Sebastian Blomberg in der Hauptrolle.

Webseite: www.verfehlung-film.de

Deutschland 2015
Regie und Buch: Gerd Schneider
Darsteller: Sebastian Blomberg, Kai Schumann, Jan Messutat, Sandra Borgmann, Valerie Koch, Hartmut Becker
Länge: 95 Minuten
Verleih: Camino Filmverleih
Kinostart: 26. März 2015
 

FILMKRITIK:

Sie sehen aus wie drei Freunde, die nach dem Fußballspielen zusammen in die Kneipe ziehen, um gepflegt einen zu heben. Lediglich die kleinen silbernen Kreuze und die schwarzen Collarhemden weisen Jakob (Sebastian Blomberg), Dominik (Kai Schumann) und Oliver (Jan Messutat) als katholische Priester aus. Seit vielen Jahren sind die drei beste Freunde. Umso tiefer sind Jakob und Oliver getroffen, als Dominik nach einer Messe noch in der Kirche verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt wird. Der Vorwurf: Er soll einen der Jungen, die er in einem Jugendclub betreut, missbraucht haben. Während Oliver, der gerade die Karriereleiter erklimmt, damit betreut wird, die Sache zu vertuschen, stürzen Jakob die Vorwürfe in eine tiefe Krise. Er nimmt Kontakt zu der Mutter (Sandra Borgmann) des Jungen auf und ist immer weniger davon überzeugt, dass Dominik unschuldig ist. Erst recht, als Jakob bei seinen Recherchen darauf stößt, dass Dominik einen weiteren Jungen missbraucht haben könnte.
 
Der Filmemacher Gerd Schneider studierte selbst katholische Theologie und war Priesteramtskandidat, bevor er sich für ein Regie-Studium entschied. Er kennt deshalb die Strukturen innerhalb der Kirche gut. Allerdings bleiben diese in seinem Film größtenteils außen vor. „Verfehlung“ beschäftigt sich weniger mit dem Verhalten der Institution, als vielmehr mit dem ihrer Protagonisten. Man kann diesen Ansatz durchaus kritisch sehen, denn so bleiben wichtige Fragen an die Organisation ausgeschlossen. Deshalb kann „Verfehlung“ auch nicht als die allumfassende filmische Auseinandersetzung mit dem Missbrauchsskandal gelten. „Verfehlung“ deckt nur einen Aspekt ab, erreicht darin aber eine große Intensität.
 
Spürbar will Gerd Schneider ein realistisches Bild von der Arbeit eines Seelsorgers zeigen, das vom Klischee des lebensfernen Geistlichen abweicht. Große Teile der Geschichte spielen in einer Strafvollzugsanstalt, in der Jakob mit Schwerverbrechern arbeitet. Auch legt er seinen Schauspielern eine Alltagssprache in den Mund, die nichts mit Frömmelei zu tun hat. Seine Protagonisten sind Männer, die mit beiden Beinen im Leben und in der Gesellschaft stehen. Umso größer ist deshalb der Gewissenskonflikt, der Jakob plagt.
 
Die Hilflosigkeit, die ihn angesichts der ungeheuren Vorwürfe an seinen Freund plagen, kann der Zuschauer gut nachvollziehen. So wie seine zunehmende Verzweiflung, als er spürt, dass sein anderer Freund Oliver und dessen Vorgesetzte sich mit unlauteren Mitteln aus der Affäre zu ziehen versuchen und an einer wirklichen Aufklärung des Falles nicht interessiert sind. Hier erreicht der Film eine große emotionale Glaubwürdigkeit. Schade nur, dass der Missbrauchsskandal in „Verfehlung“ wie ein Einzelfall erscheint. Man hätte sich etwas mehr Einblick in die Strukturen gewünscht. So hat der Zuschauer am Ende das Gefühl, dass sich die Institution Katholische Kirche in dieser Geschichte ganz grundsätzlichen Fragen nicht stellen muss. Aber, und das deutet „Verfehlung“ dann doch an, in Zukunft wird sie das müssen.
 
Oliver Kaever