Versailles

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Die Zeiten von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sind lange vorbei in Frankreich, so wie es Pierre Schoeller in seinem treffend betitelten Debütfilm schildert. In einer seiner letzten Rollen spielt Guillaume Depardieu einen Aussteiger, der in den Wäldern von Versailles abseits der Gesellschaft lebt und durch einen kleinen Jungen an seinen Werten zweifelt. Ein starkes Stück Sozialdrama, mit einem etwas zu versöhnlichem Ende.

Webseite: www.kairosfilm.de

Frankreich 2008
Regie, Buch, Musik: Pierre Schoeller
Darsteller: Guillaume Depardieu, Judith Chemla, Max Baissette, Patrick Descamps, Aure Atika, Franc Bruneau
Länge: 113 Min.
Verleih: Kairos
Kinostart: 27. Mai 2010
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Das berühmte Schloss von Versailles spielt kaum eine Rolle in diesem Film, nur in einer umso stärkeren Szene betritt man die prachtvollen Räume, in denen einst die französischen Regenten hausten: Auf der Suche nach Hilfe für den kranken Damien (Guillaume Depardieu), eilt der kleine Enzo aus den das Schloss umgebenden Wäldern erst in den Park, dann die große Freitreppe hinauf in die vergoldeten Säle Versaillles. Freiheit mögen die Aussteiger, die in den Wäldern in selbstgebauten Hütten leben zwar haben, mit Gleichheit und Brüderlichkeit – den anderen viel beschworenen Werten der französischen Revolution – ist es im Frankreich Anfang des 21. Jahrhunderts allerdings nicht sehr weit her. Mit der vorgeblichen Freiheit der Aussteiger allerdings auch nicht. Und hierin liegt die größte Stärke von Pierre Schollers Debütfilm, einem klassischen Sozialdrama. Weder romantisiert er das Leben abseits des Systems, noch bagatellisiert er die Probleme, die unangepasste Personen innerhalb der zunehmend nach festen Regeln funktionierenden Gesellschaft haben.

„Versailles“ beginnt bei Enzo und seiner Mutter Nina, die auf den Straßen von Paris hausen, in Baustellen übernachten und sich notdürftig über Wasser halten. Von einer sozialen Einrichtung wird Nina nach Versailles gebracht, in die dortige Obdachlosenunterkunft. Man verspricht ihr Hilfe, doch Nina hat offenbar schon zu viele Erfahrungen mit wohlmeinenden Sozialarbeitern gemacht. Ihr Misstrauen gegenüber jedem Angebot von Seiten der Gesellschaft, sich wiedereinzugliedern, wird nicht begründet, nicht psychologisiert. Warum sie diesen Weg gewählt hat bleibt ebenso offen wie das Schicksal Damiens, in dessen Hütte sie zufällig gerät. Nach einer gemeinsam verbrachten Nacht verschwindet Nina am Morgen und lässt Enzo zurück. Notgedrungen nimmt sich Damien des kleinen Kindes an und versucht nun selbst, die guten Ratschläge, die er am Abend zuvor Nina gab, umzusetzen. Bei seinem entfremdeten Vater und dessen neuer Frau findet er Unterschlupf, arbeitet als Tagelöhner und nimmt schließlich sogar die Vaterschaft für Enzo an, um diesem den Schulbesuch zu ermöglichen.

Bis auf einen versöhnlichen, eigentlich unnötigen Epilog bleibt Pierre Schoeller seiner differenzierten Betrachtungsweise treu. In einer seiner letzten Rollen vor seinem viel zu frühen Tod spielt Guillaume Depardieu einmal mehr einen brodelnden, brütenden Charakter, der sich der Ungerechtigkeit der Welt entgegenstellt, dafür aber einen hohen Preis zahlen muss: Einsamkeit. Egal ob er sich in seiner Hütte in halbzerfallene Bücher vertieft oder im Haus seines Vaters ein Brot schmiert, niemandem kommt Damien nahe, niemand lässt er an sich ran. Nur dem kleinen Enzo gelingt es für Momente, diese Fassade zu durchbrechen. Lang genug, um sich zu überwinden, etwas für einen anderen Menschen zu tun, aber nicht lang genug, um sein selbstgewähltes Schicksal zu ändern.

Michael Meyns

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