Verstehen Sie die Béliers?

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Einzigartig humorvoll spielt die französische Erfolgskomödie „Verstehen Sie die Béliers?“ mit unserer Wahrnehmung von Normalität. Ohne jede Spur von aufdringlicher Effekthascherei siedelt Regisseur Éric Lartigau seine turbulente Coming-of-Age-Geschichte einer jungen Frau in einem lautlosen Universum an. Sensibel inszeniert der 51jährige  die scheinbar stille Welt tauber Menschen und versammelt dabei ein glänzendes Ensemble. Neben der preisgekrönten Karin Viard überzeugt vor allem die ungeheuer erfrischende Präsenz der jungen Hauptdarstellerin und Newcomerin Louane Emera in diesem bewegendem Schauspielerkino mit berührender Dramatik und bezaubernden Pepp.

Webseite: www.verstehensiediebeliers-film.de

OT: La Famille Bélier
Frankreich 2014
Regie: Éric Lartigau
Drehbuch: Victoria Bedos, Stanislas Carré de Malberg
Darsteller: Karin Viard, François Damiens, Louane Emera, Eric Elmosnino, Roxane Duran
Länge: 104 Minuten
Verleih: Concorde
Kinostart: 5. März 2014
 

FILMKRITIK:

„Möchten Sie ein Stück Käse Bürgermeister?“ Charmant bietet die junge Paula Beliérs die Produkte aus dem Bauernhof ihrer Eltern auf dem Wochenmarkt feil. Doch der Lokalpolitiker vor ihrem Stand winkt genervt ab. „Sagen sie, denkt ihr Vater, die Leute von Lisieux würden einen Gehörlosen wählen?“, will er dagegen von ihr ziemlich plump wissen. „Warum sollten sie keinen Gehörlosen wählen“, kontert die 16jährige freimütig, „sie haben ja auch einen Idioten gewählt“. Nicht umsonst ist die aufgeweckte Schülerin gleichsam das Sprachrohr zur Außenwelt ihrer patenten, gehörlosen Familie.
 
Die Bürgermeisterkandidatur  ihres Vaters Rudolphe (François Damiens Francois), der ungeachtet seines Handicaps entschlossen ist, gegen seinen Konkurrenten anzutreten, unterstützt der Teenager zunächst vehement. Doch nicht immer ist ihre Rolle als allzeit bereite Übersetzerin in allen Lebenslagen ganz unproblematisch. Als sie sich unsterblich in ihren Mitschüler Gabriel (Ilian Bergala) verliebt, kommt sie zum ersten Mal mit ihrem tiefsitzenden Verantwortungsgefühl als Bindeglied für ihre Familie diesseits und jenseits der Stille in Konflikt. Um ihrem heimlichen Schwarm nahe zu sein meldet sie sich zusammen mit ihrer besten Freundin Mathilde (Roxane Duran) für die Chor-AG an.

Bei den Proben nimmt ihr Dilemma noch zu. Denn Chorleiter Monsieur Thomasson (Eric Elmosnino) entdeckt ihr Gesangstalent. Der Musiklehrer ermuntert sie, ihre Stimme an der Musikakademie in Paris ausbilden zu lassen. Für die Aufnahmeprüfung will er mit ihr täglich proben. Paula ist hin- und hergerissen. Einen Abschied von ihrer Familie, die so sehr auf sie angewiesen ist, mag sie sich kaum vorstellen. Besonders ihre impulsive Mutter Gigi (Karin Viard) ist alles andere als begeistert. Der Abnabelungsprozess ihrer geliebten Tochter, die ihr plötzlich fremd erscheint, reißt alte Wunden auf. Besonders, da Paula mit der Musik eine Welt entdeckt, die ihren Eltern verschlossen ist.
 
Gemeinsam mit seinem durchweg brillant agierenden Darstellerensemble begleitet Regisseur Éric Lartigau Paulas Selbstfindung, mit bisweilen entwaffnend emotionalen Szenen, durch Höhen, Tiefen und Triumphe. Dabei beherrscht sein unaufdringliches Plädoyer für Offenheit die Gratwanderung zwischen berührenden und humorvollen, komischen Momenten perfekt. Zudem liegt in der Zeichensprache der munteren Beliérs oftmals mehr Ausdruck als bei vielen Filmen im gesprochenen Wort. „Für mich war das eine völlig unbekannte Sprache, obgleich sie in unserem Land gleichberechtigt neben dem Französischen steht“, gibt Regisseur Lartigau freimütig zu.
 
„Einen neuen Kosmos zu entdecken“, betont die sympathische Actrice Karin Viard, „fand ich total spannend“. Die preisgekrönte Schauspielerin überzeugt als selbstbewusste, gehörlose Mutter in allen Facetten. Zusammen mit ihrem Partner, dem populären Belgier François Damiens, gibt sie nicht zum ersten Mal ein vergnügtes Ehegespann. Bereits in Danny Boons Komödie „Nichts zu verzollen“ bewiesen die beiden ihren Zusammenhalt. Allen voran liefert freilich die Newcomerin Louane Emera, die ihre erste Rolle atemberaubend und ergreifend spielt, einen überwältigenden Leinwandauftritt. Kein Wunder, dass die feinfühlige turbulente Komödie in Frankreich innerhalb weniger Wochen bereits drei Millionen Menschen in die Kinos lockte.
 
Luitgard Koch