Vielen Dank für nichts

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Mitleid? Nein, danke! Trotzig und aggressiv mischt der durch einen Unfall querschnittsgelähmte Valentin ein pädagogisch wertvolles Theaterprojekt auf und kämpft für seine eigene Romanze. Als die nicht so recht in die Gänge kommt, strapaziert er gemeinsam mit zwei weiteren Behinderten das Wohlwollen der Mitmenschen und legt den Weg frei für eine „barrierefreie Komödie“. Richtig in Fahrt gebracht durch die wütenden Lieder von Rodrigo Gonzáles, dem Sänger der Band „Die Ärzte“.

Webseite: www.camino-film.com

Schweiz / Deutschland 2013
Regie: Oliver Paulus, Stefan Hillebrand
Darsteller: Joel Basmann, Anna Unterberger, Nikki Rappel, Bastian Wurbs, Isolde Fischer, Anikó Donáth
Laufzeit: 95 Minuten
Kinostart: 5. Juni 2014
Verleih: Camino

FILMKRITIK:

„Hau doch ab, du egoistisches Arschloch!“: Wenn eine Mutter ihren halbwüchsigen Sohn derart anpöbelt und der zurückzischt „Mach' doch Urlaub!“ stehen die Zeichen schon in der ersten Filmminute auf Sturm. Valentin (Joel Basmann) will von der Welt nichts mehr wissen. Nach einem tragischen Snowboardunfall halb gelähmt, verkriecht er sich im Südtiroler Hochsommer unter seine Fellmütze. Das Theaterprojekt für Behinderte, in das ihn seine Mutter jetzt zwingt, kann ihm erst recht gestohlen bleiben. Wer bisher noch nie etwas von „political correctness“ gehört hat, braucht es nach dieser rotzfrechen Komödie auch nicht mehr zu erfahren.
 
Gutmenschelei macht Valentin nur noch aggressiver. Sein Schmerz äußert sich in blanker Wut. Die Floskel, ob er sich denn schon gut eingelebt habe in dem Heim für Behinderte, erwidert er mit: „Meinen Sie in der Kacke, Pisse, Kotze, Sabberei um mich rum?!“. Valentin lästert, eckt an oder versteckt sich, um diesem Horror zu entkommen. Die sorgenvolle Sozialpädagogin (Isolde Fischer), die „natürlich mit 'ner Körperlichkeit“ arbeiten will, und der italienische Regisseur, der von der „Authentizität“ der Darsteller schwärmt, können bei ihm nicht landen. Erst die junge hübsche Betreuerin Mira (Anna Unterberger) bringt ihn auf andere Gedanken. Er will sie erobern, wenn dies auch ziemlich aussichtslos ist, da sie einen smarten festen Freund hat. Aber Valentin hat jetzt ein Ziel, er bringt Leben in die triste Bude und findet daher schnell in seinem gutmütigen Zimmergenossen Titus und dem spastischen Lukas echte Verbündete. 
 
Randalierende Rollstuhlfahrer dürften auf der Leinwand eine Neuheit sein. Als das Trio in der Einkaufszone von Meran den Fußgängern „versehentlich“ in die Hacken fährt, diese sich brüsk umdrehen, um sich sofort mit gütiger Miene bei den Behinderten zu entschuldigen, wird deren temporäre Selbstlosigkeit vorgeführt, das Thema Rücksichtnahme auf den Kopf gestellt. Die drei steigern sich. Als Nächstes laden sie sich selbst bei einer irritierten und wohlmeinenden Nachbarin zum Glas Ovomaltine ein. Als Dank verkeilt sich Lukas samt Rollstuhl kunstvoll in deren Kleiderschrank. Dann wird eine Waffe beschafft, um die Tankstelle von Miras Freund zu überfallen. Schließlich soll der hübsche Kerl gedemütigt werden.
 
„Das ist ein Überfall. Alle auf den Boden und Fresse halten!“ Als diese Aufforderung aus dem Sprachcomputer eines Rollstuhlfahrers kommt und der Bewaffnete zur Tarnung einen Plastikstierkopf trägt, erreicht die Hilflosigkeit der werten Mitmenschen ihren Höhepunkt. Erst einmal werfen sie sich auf den Boden, während der Tankstellenbesitzer brav Euros und Snickers auf den Tresen legt. Die Täter, mit deren Flucht ja nicht gerechnet werden kann, stellen auch die Polizei vor ungewöhnliche Probleme: Nur mit einem Kranwagen der Feuerwehr können die Delinquenten „abgeführt“ werden. In jedem Fall werden die drei einmal anders als sonst wahrgenommen.
 
Das Konzept, die Betroffenheit, Verlegenheit und Toleranz der Mitmenschen gründlich an die Wand zu fahren, hatten die belgischen Komiker Benoit Delepine und Gustave Kevern schon vor zehn Jahren in ihrem „Rollstuhl-Roadmovie“ mit dem Titel „Aaltra“  gründlich strapaziert. Den Anfang machte Lars von Trier bereits vor 15 Jahren mit seiner radikalen Satire „Idioten“. Es sei ein Film von Idioten über Idioten für Idioten, sagte er damals. Oliver Paulus und Stefan Hillebrand, die auch für das Pflegeheim -Dramolett „Wir werden uns wiederseh'n“ und die Putzfrauenkomödie „Wenn der Richtige kommt“ gemeinsam Regie führten und Preise einheimsten, sind nicht ganz so radikal. Sie sorgen aber 90 Minuten lang für Überraschungen. In ihre wilde Mischung aus Buddy-Komödie, Romanze und Groteske fügt sich auch die etwas diffuse abschließende Theater-Aufführung der Tragödie „Hamlet“ nahtlos. Denn das Ensemble aus Schauspielern und Laien ist bestens aufgelegt. Es spiegelt den provozierenden Schwung der begleitenden Songs von „Ärzte“-Sänger Rodrigo Gonzáles.
 
Dorothee Tackmann