Vivere

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Nach ihrem kritischen Gesellschaftsdrama „Fremde Haut“ und der verstörenden Beziehungsstudie „Verfolgt“ schildert Angelina Maccarone erneut eine unkonventionelle Geschichte. Im Mittelpunkt stehen diesmal drei Frauen, die eine nächtliche Reise unternehmen. Es sind verletzte Seelen auf der Flucht, die in diesem eigenwilligen Roadmovie aufeinander treffen. Eine davon: Hannelore Elsner.

Webseite: www.stardust-filmverleih.de

Deutschland 2006
Regie: Angelina Maccarone
Drehbuch: Angelina Maccarone
Darsteller: Hannelore Elsner, Esther Zimmering, Kim Schnitzer, Aykut Kayacik
Verleih: Stardust
Länge: 93 Min.
FSK: 12
Kinostart: 18.10.2007

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Was für eine Bescherung! Ausgerechnet in der Weihnachtsnacht brennt die 17-jährige Antonietta (Kim Schnitzer) mit einem Rockstar in Richtung Rotterdam durch. Ihre ältere Schwester und Ersatzmutter Francesca (Esther Zimmering) begibt sich sogleich auf die Suche nach der Teenagerin. Unterwegs trifft sie auf die undurchschaubare Gerlinde (Hannelore Elsner), die einen Autounfall leicht verletzt überstanden hat. Gemeinsam fahren die beiden Frauen über die niederländische Grenze. Schon bald ist Francesca hin- und hergerissen von der Sorge um ihre kleine Schwester und Gerlindes rätselhafter Anziehungskraft.
 

Nach „Fremde Haut“ und „Verfolgt“ präsentiert Regisseurin Angelina Maccarone mit „Vivere“ ihr drittes eigenwilliges Gesellschaftsdrama in Folge. Der italienische Filmtitel lässt sich dabei nicht von ungefähr mit „Leben“ übersetzen. Auf der Suche nach sich selbst irren die Frauen aus drei Generationen durch die Nacht. Angetrieben von der Frage, was das Leben eigentlich lebenswert macht. Schnell wird dabei deutlich, dass alle drei im übertragenen Sinn auf der Flucht sind. Gerlinde flüchtet vor einer verschmähten Liebe, Francesca vor ihrem zentnerschweren Pflichtbewusstsein und Antonietta vor der Realität.

Maccarone schildert ihr Roadmovie in drei in sich abgeschlossenen Sequenzen. Die Erlebnisse der nächtlichen Irrfahrt werden nacheinander aus der Perspektive jeder Beteiligten erzählt. In Francescas Sequenz wabert die Handlung dabei noch ziemlich ziellos durch die Nacht. Es werden etliche Fragen aufgeworfen, aber kaum eine beantwortet. Und zum Schluss kommt es dann zu einer ziemlich absurden Konfrontation aller drei Frauen. Erst in der zweiten Teilgeschichte erschließen sich dem Zuschauer die ersten wahrhaftigen Motive. Dafür schlägt Maccarone spannende Wendungen ein und stößt neue Denkansätze an, nur um sie gleich wieder zu verwerfen. Sollte es etwa möglich sein, dass Gerlinde die lang vermisste Mutter von Francesca und Antonietta ist? „Vivere“ entfaltet urplötzlich eine fesselnde Dynamik und erwacht buchstäblich zum Leben.

Maccarone bleibt ihrer bisherigen Linie dabei eindrucksvoll treu. Bei der Darstellung ihrer Geschichte hält sie sich erneut an kaum eine gesellschaftliche Norm. Zwischen den ungleichen Frauen kommt es sogar zu körperlicher Nähe. Umso erstaunlicher ist, wie normal alles wirkt. Obwohl ziemlich viele Zufälle den Handlungsverlauf bestimmen, erscheint kaum etwas konstruiert. Das ist allerdings auch dem starken Dreiergespann in den Hauptrollen zu verdanken. Filmveteranin Hannelore Elsner überzeugt als geheimnisvolle Frau mit ungeklärter Vergangenheit. Esther Zimmering, die emotionale Mitte des Films, gefällt durch ihren inneren Zwiespalt. Und Kim Schnitzer, die als Laiendarstellerin in „Lucy“ zur professionellen Schauspielerei kam, weiß als aufmüpfige Teenagerin ebenfalls Wirkung zu erzielen.

Dass „Vivere“ an den Weihnachtsfeiertagen spielt, ist hingegen kaum von Bedeutung, trägt aber zur elegischen Stimmung des Dramas bei. Der Film spielt auf verlassenen Straßen, in trostlosen Hafengegenden und hässlichen Hotelzimmern. Ein harmonisches Leben, wie man es sich über die Festtage wünscht, sieht wahrlich anders aus. Unterwegs durchbrechen allein ein paar pfiffige Dialoge die Schwermut. Die Frauen stecken in ihrem Leben in einer Sackgasse, aus der sie sich alleine nicht befreien können. Nur gemeinsam sind sie stark. Doch es dauert eine Weile, bis sie das realisieren.

 „Vivere“ ist eigentümlich, sperrig und nur am Ende wirklich aufmunternd und lebensfroh. Wer sich jedoch in den Tiefen der vielschichtigen Handlung verlieren kann, erlebt ein einnehmendes Roadmovie unter Frauen, das sich vornehmlich im Kopf abspielt. Von seiner emotionellen Dichte ist „Vivere“ jedenfalls Maccarones bislang bestes Werk.

Oliver Zimmermann

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Heiligabend. Enrico, der Vater, ist Italiener. Er liebt seine beiden Töchter Francesca und Antonietta. Die Mutter ist schon vor Jahren getürmt. Francesca, Taxifahrerin um die 30, ist zur Seele der Familie geworden. Sie hält alles zusammen, trifft die Vorbereitungen für das Weihnachtsfest.

Ganz anders Antonietta. Sie ist in der Pubertät und ganz schön aufmüpfig. Außerdem in den holländischen Rockmusiker Snickers verliebt, von dem sie noch dazu, wie sie an Heiligabend erfährt, schwanger ist. Snickers muss nach Rotterdam. Und was macht Antonietta? Sie folgt ihm Hals über Kopf – ausgerechnet kurz vor dem Fest, das doch die drei gemeinsam feiern wollten. Es hilft nichts, Francesca muss sich auf den Weg machen, um die ausgerissene jüngere Schwester heimzuholen. Mit ihrem Taxi prescht sie los.

Gerlinde, etwas über 60, ist von ihrer Geliebten Inge im Stich gelassen worden. Denn Inge ist verheiratet und hat Kinder. Sie muss an Heiligabend zu Hause sein und mit den Ihren unter dem Christbaum singen. Gerlinde irrt einsam umher, baut einen Unfall, wird von Francesca gefunden und schleicht sich, statt in der Klinik zu bleiben, ins Taxi von Francesca, die nach Rotterdam unterwegs ist zu Antonietta.

Suche, Einsamkeit, Enttäuschung, flüchtige Begegnung, ein Funken Hoffnung, Trennung – das alles spielt sich in Rotterdam ab. Und ausgerechnet an Weihnachten. Aber eines ist sicher: Alle drei, Gerlinde, Francesca und auch Antonietta, kehren von der Hollandreise gestärkt zurück in ihre Vorstadt im Rheinland.

Allerweltsschicksale – aber so interessant aufgefächert, dass man den Figuren gerne folgt. Die Bilder von Judith Kaufmann sind wie meistens etwas Besonderes, die Anschlüsse zeugen von professioneller Drehbucharbeit.

Man hat sogar einigen Gewinn von diesem Film. Hannelore Elsner, die Unverwüstliche – und „Unberührbare“ – amtiert wie immer diskret aber schlüssig. Die beiden jüngeren Actricen, Esther Zimmering als Francesca und Kim Schnitzer als Antonietta, bemühen sich mit Erfolg, es ihr gleich zu tun.

Drei Frauen, drei Generationen, drei Schicksale. Dargestellt in gelungener Form. 

Thomas Engel