Vom Ende eines Zeitalters

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Ein dokumentarischer Ansatz, wie aus der Zeit gefallen: Nicht kurz hingehen und einen Film mitnehmen, fast stehlen, sondern monate-, ach was, jahrelang vor Ort sein, beobachten, Menschen und Orte wirklich kennenlernen. Aus diesem Gestus heraus drehen Christoph Hübner und Gabriele Voss seit Jahrzehnten Filme, oft über das Ruhrgebiet und die Veränderungen. „Vom Ende eines Zeitalters“ heißt ihr neues, großes Werk.

Vom Ende eines Zeitalters
Deutschland 2023
Regie: Christoph Hübner und Gabriele Voss
Dokumentarfilm

Länge: 155 Minuten
Verleih: Film Kino Text
Kinostart: 25. April 2024

FILMKRITIK:

In gewisser Weise begann die Entstehung dieses Filmprojektes 1978. Damals, als es noch die alte Bundesrepublik gab, kaum jemand an ein Ende des fossilen Zeitalters dachte und das Ende des Bergbaus erst seinen Anfang nahm, begannen die Filmemacher Christoph Hübner und Gabriele Voss mit ihrem Filmprojekt „Prosper/Ebel – Chronik einer Zeche und ihrer Siedlung.“ Es begleitete genau das: Die Schließung von Zechen, der Wandel, der den umliegenden Gemeinden damit aufgenötigt wurde, die Veränderungen, die Lebensläufe beeinflussten, aber auch die Natur radikal veränderte.
Erste Filme des Projektes entstanden, „Die vierte Generation“ von 1980, zwei Jahre später „Inmitten von Deutschland“, längst lebte das Paar auch im Ruhrgebiet, setzte sich für die Filmproduktion in der Region ein und drehte selbst Filme über diverse Themen. Immer wieder kehrten sie jedoch zum Thema Strukturwandel zurück, 1997 entstand „Das Alte und das Neue“ und nun also „Vom Ende eines Zeitalters“, ein doppeldeutiger Titel.
Zum einen ist vom Ende des Bergbaus die Rede, jener Industrie, die den industriellen Boom des Ruhrgebiets beförderte und damit auch des ganzen Landes, zehntausende Arbeitsplätze schuf – und gleichzeitig zur Zerstörung der Umwelt beitrug. Das ist das andere Zeitalter das endet, das enden muss, wenn es eine Zukunft geben soll: Das Zeitalter der fossilen Energie.
Hand in Hand gehen diese Veränderungen, die das Ruhrgebiet in den letzten Jahrzehnten fundamental verändert haben.
In Ebel, einem Stadtteil von Bottrop, befindet sich etwa die Zeche Prosper, die nach und nach zurückgebaut wird. Doch was dann? Wie wirken sich die Veränderungen auf die Menschen und die Natur aus? Hübner und Voss kennen die Menschen vor Ort seit langem, waren immer wieder zu Besuch, haben die Veränderungen beobachtet. Man merkt ihrem Film an, dass die Menschen vor Ort ihnen vertrauen, dass sie bereitwillig über Hoffnungen und Ängste erzählen. Manche vertrauen in die Initiativen von Städten und Landesregierung, spüren, dass sich durch die Renaturierung neue Möglichkeiten ergeben, dass viel in Kultur und Freizeitmöglichkeiten investiert wird. Andere sind skeptisch, beklagen den Verlust an Gemeinsinn und dem Gefühl des Zusammenhaltes.
Wie in kaum einer anderen Region in Deutschland, geraten im Ruhrgebiet die Notwendigkeiten des Klimawandels und der Arbeitswelt aneinander. Umweltschädlicheres als den Bergbau gibt es kaum, aber zehntausende Arbeiter haben fraglos auch ein Recht darauf, dass ihnen Alternativen angeboten werden. Ein schwieriger Spagat, den das Ruhrgebiet und seine Menschen seit vielen Jahren einzugehen versucht und noch lange Zeit bewältigen muss. Nicht zuletzt durch sogenannte „Ewigkeitskosten“, Kosten, die auf absehbare Zeit, vielleicht sogar ewig notwendig sind, um die Folgen des Bergbaus aufzufangen. Wird etwa nicht ständig Wasser aus den Gruben gepumpt, ständen 25% des Ruhrgebiets unter Wasser. Welche Folgen des Abpumpens von Millionen Kubikmeter Wasser hat, lässt sich an Veränderungen der Natur beobachten: Neue Seen entstehen, teils natürlich, teils künstlich, neue Landschaften, Hügel, Fahrradwege, eine neue Welt. „Vom Ende eines Zeitalters“ heißt Christoph Hübner und Gabriela Voss Film zwar, aber er beschreibt auch einen neuen Anfang, den Beginn einer neuen Ära des Ruhrgebiets. Ein faszinierendes dokumentarisches Projekt, das angesichts der allzu oft gescripteten Dokumentarfilme der Gegenwart aus der Welt gefallen zu sein scheint und gerade deswegen so wertvoll ist.

Michael Meyns