Von jetzt an kein Zurück

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Aufwachsen in der Bundesrepublik der späten 60er Jahre war nicht leicht, erst recht nicht, wenn man nicht den konservativen Moralvorstellungen einer Gesellschaft entsprach, die noch stark vom Erbe des Nationalsozialismus geprägt war. In diesem Problembereich beginnt Christian Froschs Drama „Von jetzt an kein zurück“, der zwar an formalen Schwächen leidet, aber einen interessanten Ansatz verfolgt.

Webseite: www.vonjetztan-film.de

Deutschland/ Österreich 2014
Regie, Buch: Christian Frosch
Darsteller Victoria Schulz, Anton Spieker, Ben Becker, Ursula Ofner, Thorsten Merten, Helga Boettiger, Tino Hillebrand
Länge: 108 Minuten
Verleih: Edition Salzgeber
Kinostart: 12. März 2015
 

FILMKRITIK:

Irgendwo in der deutschen Provinz, fernab der Epizentren der 68er Bewegung, der Aufbrüche in ein moderneres Deutschland, leben Martin (Anton Spieker) und Ruby (Victoria Schulz). Martin träumt davon, die Welt als Schriftsteller aus den Angeln zu heben, Ruby – die eigentlich Rosemarie heißt – will singen. In einem Plattenladen arbeitet sie schon, hört die Kinks und die Monks und trägt Minirock, sehr zum Verdruss ihres Vaters (Ben Becker), der als ehemaliger Wehrmachts-Soldat ein extrem konservatives Weltbild von Anstand und Ordnung vertritt. Auch Martins Vater (Thorsten Merten) ist vom Krieg traumatisiert, allerdings eher von Sorge um seinen Sprössling getrieben, der ihm zunehmend entgleitet.
 
Nachdem das Paar gemeinsam der Provinz nach Berlin entkommen will, sehen sich die Eltern am Ende ihrer Möglichkeiten und stimmen zu, die jungen Erwachsenen in Erziehungsheime zu stecken: Ruby landet in einem katholischen Heim, Martin in einer Erziehungsanstalt der Diakonie. In diesen repressiven Strukturen soll ihnen jeder Individualismus, jeder Ungehorsam ausgetrieben werden. Während sich Ruby an der Musik festhält, auch wenn diese vor allem aus christlichem Gesang besteht, radikalisiert sich Martin zunehmend und lässt immer häufiger seine Fäuste sprechen. Als sich das Paar Jahre später, im deutschen Herbst 1977, wieder trifft, verbinden sie nur noch Erinnerungen an ihre einstige Liebe und ihre längst begrabenen Ideale.
 
Die Frage, wie aus ganz normalen jungen Erwachsenen Terroristen werden konnten, beschäftigt die Sozialforschung seit Jahrzehnten, das Kino hat sich diesem Thema kaum zugewandt. Meist setzen Filme über die Radikalisierung der 68er Generation erst ein, wenn der Übergang vom radikalen Protest gegen die gesellschaftlichen Zustände zum menschenverachtenden Terrorismus schon vollzogen war. Zudem beschränkt sich der Blick meist auf die Szene in Berlin, dem Epizentrum der Bewegung, während gerade die Zustände in der Provinz meist ignoriert werden. Hier setzt Christian Froschs Film ein, der sich bemüht, die konservativen Zustände einer Nation zu schildern, die den Zweiten Weltkrieg verdrängt hat und sich stattdessen dem erzkatholischen Leben der Adenauer-Ära verschrieben hat.
 
Doch wie Frosch den Kontrast zwischen der Kriegsgeneration und ihren Kinder inszeniert, ist allzu schematisch und bedient sich zu einfacher Stereotype. Das wirkt meist wie der Blick eines Spätgeborenen auf eine Welt, deren Enge man sich heutzutage kaum noch vorstellen kann, deren Lebensvorstellungen und nicht zuletzt deren Sprache man aber auch nicht mehr kennt, was zur Folge hat, dass Martin und Ruby oft eher wie moderne Jugendliche agieren.
Wesentlich überzeugender wirken die Szenen in den jeweiligen Heimen, die Schilderung der Unterdrückung durch die Erzieher, sowohl der nur oberflächlich wohlwollenden Schwestern, als auch der noch nicht einmal oberflächlich gut meinenden Aufsicht im Männerheim.
 
Deutlich ist hier der Bezug zu Ulrike Meinhofs 1970 entstandenem Film „Bambule“, in dem die damals noch als Journalistin tätige spätere Terroristin die Zustände in einem Berliner Heim für junge Mädchen schildert. In Bezug auf dieses Vorbild, das Frosch teils direkt zitiert, gelingen die stärksten Szenen, die den Versuch des Staates, das Individuum zu brechen, überzeugend veranschaulichen. In diesem Kernstück seiner Erzählung besitzt „Von jetzt an kein zurück“ eine Authentizität und Dichte, die im davor und auch im etwas zerfaserten danach abgeht. Der Versuch, exemplarische Schicksale der BRD zu schildern und dabei auf die Missstände im Heimsystem der damaligen Zeit aufmerksam zu machen, führt in diesem Fall in eine allzu schematische Figurenzeichnung, was besonders angesichts des interessanten Ansatzes bedauerlich erscheint.
 
Michael Meyns