Wagenknecht

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Kaum eine deutsche Politikerin ist so bekannt, kaum eine so umstritten: Sahra Wagenknecht, bis vor wenigen Monaten Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke. Von diesem Posten tritt sie im Laufe von Sandra Kaudelkas Dokumentation „Wagenknecht“ zurück, für die Filmemacherin ein dramaturgischer Glücksfall, der eine zwei jährige Beobachtungszeit prägnant pointiert.

Website: www.salzgeber.de/wagenknecht

Dokumentation
Deutschland 2020
Regie & Buch: Sandra Kaudelka
Länge: 100 Minuten
Verleih: Salzgeber
Kinostart: 12. März 2020

FILMKRITIK:

Seit sie 1991 Mitglied im Parteivorstand der SED Nachfolgepartei PDS wurde, ist Sahra Wagenknecht nicht aus der Bundesdeutschen Politik wegzudenken. Anfang 20 war sie damals gerade jung und wurde schnell als „schönstes Gesicht des Sozialismus“ bezeichnet. Fast 30 Jahre sind seitdem vergangen, die Spuren hinterlassen haben. Weniger im Gesicht, das immer noch von der typischen Wagenknecht-Frisur geprägt ist, den streng nach hinten gerafften Haaren, als im Inneren.

Als Sandra Kaudelka ihre Langzeitdokumentation begann, steckte Wagenknecht gerade im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2017. Unzählige Termine bewältigt sie, hält Reden, gibt Interviews, hilft ihrer Partei ein sehr gutes Ergebnis zu erkämpfen. Doch bald nach dem Wahltag beginnen die Grabenkämpfe in der Partei, zwischen Fraktions- und Parteiführung, die immer schwerer werden.

Besonders weil Wagenknecht darum bemüht ist, die Themen der Zeit – Migration, Flüchtlinge, soziale Nöte – differenziert zu betrachten und nicht pauschal linke Positionen vertritt, die oft vor allem Parolen sind und weniger Basis für realistische Politik. Beim Parteitag der Linken 2018 werden Wagenknecht ihre vermeintliche Nähe zu Konservativen oder gar zur AFD in teils wütenden Wortbeiträgen vorgehalten, die Unterstützung aus den Führungskreisen ihrer Partei bleibt dagegen dünn.

Auch dies wird zu ihrem Entschluss beigetragen haben, sich nicht mehr zur Wahl als Fraktionsvorsitzende zu stellen, im November gab sie diesen Posten ab und ist seitdem nur noch ganz normale Bundestagsabgeordnete.

Dramaturgisch ist der Rückzug Wagenknecht aus ihrem Amt fraglos ein Glücksfall für Sandra Kaudelka und ihre Dokumentation. Ein organischer Bogen ergibt sich dadurch von selbst, an dem entlang Momente des Politikeralltags stehen. Viele Interviews mit großen und kleinen Medien sind das, viele Fahrten im Auto, von Veranstaltung zu Veranstaltung. Vom Bundestag zum Bahnhof, wenige Momente mit ihrem Ehemann Oskar Lafontaine, der immer mal wieder auftaucht, aber in dieser Politiker-Beziehung eindeutig nur noch die zweite Geige spielt.

Ein klassischer Porträtfilm ist „Wagenknecht“ nicht, Rückblicke auf Karriere und Leben gibt es kaum, eine Einordnung von Wagenknechts politischen Ansichten und Haltungen findet nicht statt. Kaudelka bleibt ganz im Moment, beobachtet, versucht auch die Absurdität des politischen Geschäfts anzudeuten, wenn etwa ein Fotograf zur Bebilderung eines Artikels für die Bunte gerne ein Foto auf einer Picknickdecke hätten, ein Anliegen, das Wagenknecht und ihr Pressesprecher abzublocken wissen.

So interessant der Blick hinter die Kulissen des Politikbetriebs auch oft ist: Wagenknecht ist nach Jahrzehnten der Erfahrung vielleicht schon zu professionell, um wirkliche Blicke hinter die Fassade zuzulassen. So streng ihr Äußeres wirkt, so sehr versucht sie auch ihr Bild in der Öffentlichkeit zu kontrollieren, denn auch wenn sie Sandra Kaudelka augenscheinlich viel Raum zum filmen gegeben hat: am Ende zeigt „Wagenknecht“ ein Bild der Politikerin, das ganz im Sinne von Sahra Wagenknecht ist.

Michael Meyns