Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt

Zum Vergrößern klicken

Das Phänomen Richard Wagner als ebenso unterhaltsamer und humorvoller wie nachdenkenswerter Dokumentarfilm: Axel Brüggemann, bekannt für viele TV-Filme über klassische Musik, nimmt sich einer besonderen Spezies Mensch an. Es geht um die Wagnerianer. Seine Reise um die Welt ist geprägt von der Liebe der Wagner-Fans zu seiner Musik und von dem nach wie vor ambivalenten Verhältnis zu seiner Persönlichkeit und seiner Weltanschauung. Dass er ein Antisemit war und mindestens ein bisschen größenwahnsinnig, ist absolut unumstritten. Dennoch faszinieren seine Werke Menschen jeder Schattierung, Arm und Reich, Christen, Moslems und Juden, Kapitalisten und Kommunisten. Warum eigentlich? Und warum polarisiert Wagner bis heute? Axel Brüggemanns Film ist eine Art weltweite Spurensuche – mit viel Sachkunde elegant gelöst und dabei durchaus inspirierend.

Webseite: http://www.filmweltverleih.de

Dokumentarfilm
Deutschland 2021
Drehbuch und Regie: Axel Brüggemann
mit: Katharina Wagner, Christian Thielemann, Valery Gergiev, Placido Domingo, Alex Ross, Anja Harteros, Barrie Kosky
Länge: 98 Minuten
Verleih: Filmwelt
Kinostart: 28.10.2021

FILMKRITIK:

Jedes Jahr treffen sich die Mitglieder der internationalen Wagnerianer-Vereinigung in Venedig – Richard Wagners Lieblingsstadt und sein Sterbeort. Die meist älteren und offenkundig wohlhabenden Damen und Herren aus aller Welt verbindet eines: ihre große, unstillbare Leidenschaft für die Werke des Komponisten, die manchmal religionsähnliche Züge trägt. „Seine Musik verbindet sich mit den Worten Gottes und des Kosmos“, meint einer. Eher bodenständig sind die Ansichten des Metzgerehepaars Rauch aus Bayreuth. Auch sie sind Wagner-Fans, aber sie sind mit Richard Wagner aufgewachsen und kennen den Trubel der Festspiele seit ihrer Kindheit.

Ein Blick von oben auf Bayreuth zeigt das Festspielhaus, wo gerade Proben zu „Tristan und Isolde“ stattfinden. Placido Domingo dirigiert, Katharina Wagner inszeniert. Die Chefin der Festspiele und Urenkelin von Richard Wagner meint, das Vergnügen ein Wagner zu sein, halte sich in Grenzen – es gebe viele Klischees und Vorurteile. Tatsächlich existiert über alle Grenzen von Ländern, Weltanschauungen, Religionen und Hautfarben hinweg eine große Leidenschaft für Richard Wagners Musik. In New Jersey wird erstmals der komplette „Ring des Nibelungen“ mit einem People of Colour-Ensemble aufgeführt. Die Gespräche mit den Beteiligten zeigen ihre Begeisterung für die Musik. Der nächste Schauplatz ist Riga, wo Wagner als junger Dirigent tätig war. Mit viel Enthusiasmus organisiert der lokale Richard-Wagner-Verein eine Aktion, die in einem gesungenen Demonstrationszug mit dem Pilgerchor aus „Tannhäuser“ gipfelt – alles zur Wiederbelebung des Wagner-Hauses in Riga.

Was macht die Musik Wagners mit den Menschen? Woher rührt ihre Begeisterung? Manche nehmen sich selbst damit auf die Schippe, doch sie alle sind so etwas wie „Wagnerds“: originelle Persönlichkeiten, die Wagners Musik lieben und dennoch oft eine kritische Einstellung zu ihm haben. Dass Richard Wagner ein Antisemit war, steht mehr als zweifelsfrei fest – darüber muss nicht mehr diskutiert werden. Aber da ist die rührende Geschichte eines Mannes, der knapp dem Naziterror entkam. Er rettete nur sich selbst und seine Wagner-Schallplatten. Jonathan Livny ist der Sohn dieses Mannes und Gründer der Richard-Wagner-Gesellschaft in Israel. Er möchte das Erbe des Hasses von der Musik trennen. Aber so einfach ist das nicht, denn der Diskurs findet ständig statt, auch in Bayreuth, und sorgt für Aufruhr. Barrie Kosky inszeniert die „Meistersinger“ in einem Bühnenbild, das sich am Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse orientiert. Der junge israelische Orchestermusiker Rotem Nir spielt voll Inbrunst Wagner auf dem Dach eines Hauses in Tel Aviv. Ob in Abu Dhabi, wo der regierende Scheich eines von zwei Mitgliedern der Richard-Wagner-Gesellschaft ist und Aufführungen organisiert, oder in Tokio, wo ein Unternehmer auf die Idee kam, „Parsifal“ für Kinder zu inszenieren – überall auf der Welt begeistern sich die Menschen für diese Musik. Trotz aller Vorbehalte, trotz Hitlers Neigung zu Wagner, trotz des Antisemitismus, den Wagner allzu gern verbreitete. Aber kann man die Musik vom Menschen trennen? Wie politisch ist Musik, wie politisch kann und darf Musik sein?

Axel Brüggemann lässt sich auf diese Diskussion ein. Mit erfreulich wenig trockener Theorie, mit viel Witz und oft mit einem kleinen oder größeren Augenzwinkern betrachtet er die Welt der Wagner-Fans. Manchmal zeigt er seine ironische Sicht der Dinge allein durch die Kameraeinstellung – zwei Stiletto-Absätze vor dem Hintergrund eines venezianischen Palastes oder der Blick von unten auf einige Gesprächspartner. Die Wagnerianer präsentiert er ganz gern als Originale, die sich ihrer besonderen Stellung durchaus bewusst sind, so wie den Scheich mit seiner eigenen Wagner-Gesellschaft. Doch Brüggemann zeigt auch die Ambivalenz, er wird im Verlauf immer ernsthafter und spricht auch mit den Menschen, die sich beruflich mit Wagner beschäftigen: Sängerinnen, Musiker, die Festspielchefin, die Regisseure. Jeder einzelne von ihnen muss sich ständig damit auseinandersetzen, dass der Mensch, dessen Musik sie verehren und verbreiten, vermutlich ein größenwahnsinniges Scheusal war, auf jeden Fall aber ein Rassist und Antisemit. Darf man seine Musik mögen?

Die Wahl der Gesprächspartner in Brüggemanns Film ist gut getroffen: Neben dem Metzgerehepaar Rauch, das Frohsinn und gute Laune verbreitend über den Bayreuther Wagner-Alltag spricht, hat er in dem Autor und Musikkritiker Alex Ross eine weitere Persönlichkeit gefunden, die durch die lockere Abfolge der einzelnen Stationen führt. Brüggemann bringt kurze Hörbeispiele, die er mit Impressionen aus der Natur untermalt, oft aus dem Bayreuther Festspielpark, oder mit Probenbildern. Seine Dokumentation ist weder Musikfilm noch Komponistenporträt, eher eine sehr gelungene kritische Auseinandersetzung mit einem Mythos – ein wenig (berechtigte) Kritik an der Cancel Culture könnte ebenfalls dabei sein, dazu kurze Blicke auf Wagners Person, seine Eitelkeit, seinen Größenwahn, seine Neigung zum Pomp. „Richard Wagner, das ist das Heavy Metal-Ende der Klassik“, sagt einer der Wagnerianer. Sehr treffend! Ebenso aber auch Jonathan Livny in Israel, der seinem Enkelkind erklärt: „Richard Wagner war ein schrecklicher Mensch, der wunderbare Musik komponiert hat.“

Gaby Sikorski