War Sailor

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Die Anzahl an Filmen, die über den Zweiten Weltkrieg gedreht wurden dürfte fast 80 Jahre nach Ende des Krieges in die Tausende gehen. Dennoch gibt es erstaunlicherweise immer wieder neue Geschichten zu erzählen, thematisieren Filme Aspekte des Krieges, die weitgehend unbekannt sind. So auch der norwegische Film „War Sailor“, der sich mit einfachen Seeleuten beschäftigt, die zur Teilnahme am Krieg gezwungen wurden.

Krigsseileren
Norwegen 2022
Regie & Buch: Gunnar Vikene
Darsteller: Kristoffer Joner, Ine Marie Wilmann, Pål Sverre Hagen, Henrikke Lund-Olsen, Téa Grønner Joner, Siv Torin Knudsen Petersen, Armand Hannestad

Länge: 150 Minuten
Verleih: DCM
Kinostart: 9. Februar 2023

FILMKRITIK:

Den teuersten Film der norwegischen Filmgeschichte drehte Autor und Regisseur Gunnar Vikene mit „War Sailor“, der für die diesjährige Oscar-Verleihung als Vorschlag Norwegens ins Rennen um den Preis als Bester Internationaler Film ging, es aber nicht auf die sogenannte Shortlist schaffte. Im Gegensatz zum deutschen Kriegsfilm „Im Westen nichts Neues“, der eine bekannte Geschichte mit großem Aufwand neu erzählt.

Auch „War Sailor“ beginnt klassisch, in der norwegischen Hafenstadt Bergen, 1939, sieben Monate vor der deutschen Besetzung Norwegens. Die alten Freunde Alfred (Kristoffer Joner) und Sigbjørn (Pål Sverre Hagen) arbeiten an Dock, doch die Arbeit wird knapp und so heuern sie an Bord eines Schiffes an, das nach New York fahren soll. Sehr zum Unwillen von Alfreds Frau Cecilia (Ine Marie Wilmann) und besonders den drei Kindern, die in der Zeitung von versenkten Schiffen gelesen haben und sich um den Vater sorgen.

Nicht zu unrecht, denn einige Monate später erfahren Alfred und Sigbjørn, dass der Krieg ausgebrochen ist und Frachtschiffe fortan in die alliierten Streitkräfte eingegliedert werden. Unfreiwillig sind Alfred und Sigbjørn Teil des Krieges geworden und werden ihre Heimat lange Jahre nicht wiedersehen. Mal in Liverpool, mal auf Malta sind sie stationiert, kommen in den Wirren des Krieges fast ums Leben, während zu Hause Cecilia versucht, die Kinder zu versorgen. Und auch als der Krieg 1945 zu Ende geht, ist der Kampf für Alfred und Sigbjørn noch nicht vorbei.

Ein Herzensprojekt war „War Sailor“ für Gunnar Vikene, jahrelang recherchierte er über das Sujet, sprach mit Zeitzeugen und schrieb schließlich ein ausuferndes Epos, dessen Handlungsbogen von 1939 bis 1972 reicht. Als Kriegsfilm im eigentlichen Sinne lässt sich „War Sailor“ dabei kaum beschreiben, zumal nicht unmittelbar von Kriegshandlungen erzählt wird, sondern von den Auswirkungen des Krieges auf Zivilisten.

Immer wieder springt die Handlung zwischen Alfred und Cecilia hin und her, zwischen Mann und Frau, zwischen Fremde und Heimat. Vor allem die Unmöglichkeit zwischen den beiden Sphären zu kommunizieren sorgt für die oft hoffnungslos erscheinende Atmosphäre: Sowohl Alfred als auch Cecilia wähnen den anderen tot, sei es durch die schwere Bombardierung Bergens, sei es durch einen Schiffsuntergang. Briefe zu schreiben ist unmöglich, auf anderen Wegen Lebenszeichen zu schicken ebenfalls.

Gerade die Szenen nach Ende des Krieges zählen zu den berührendsten Momenten von „War Sailor.“ Die Ungewissheit, das Bangen und Hoffen schildert Vikenes aufs eindringlichste, zeigt vor allem auch, dass der Krieg für manche Menschen auch lange nach seinem offiziellen Ende noch nicht vorbei war. Dass zusätzlich die norwegische Regierung den Einsatz der zwangsverpflichteten Seeleute nicht ebenso würdigte wie den von Soldaten, war ein zusätzlicher Affront.

 

Michael Meyns