Warte bis es dunkel wird

Zum Vergrößern klicken

Kaum ein Genre hat in den letzten Jahren eine solche Entwicklung durchgemacht wie der Horror-Thriller, der spätestens mit den "Scream"-Filmen in die Phase der vollkommenen Selbstreferenziellität kam. Produziert von Ryan Murphy, einem Spezialist für Popkultur und ironische Genrebrechungen dreht "Warte, bis es Dunkel wird" das Rad nun noch weiter: Das Ergebnis ist ein cleveres, intelligentes Spiel mit Mustern und Klischees des Genres.

Webseite: www.tiberiusfilm.de

OT: The Town That Dreaded Sundown
USA 2014
Regie: Alfonso Gomez-Rejon
Buch: Roberto Aguirre-Sacasa
Darsteller: Addison Timlin, Veronica Cartwright, Anthony Anderson, Travis Tope, Gary Cole, Joshua Leonard
Länge: 86 Minuten
Verleih: Tiberius Film
Kinostart: 9. April 2015
 

FILMKRITIK:

1976, zwei Jahre bevor John Carpenter mit "Halloween" das Zeitalter des Slasher-Films einläutete, drehte Charles B. Pierce "The Town That Dreaded Sundown", einen der ersten Vertreter des Serienkiller-Films, bei dem ein maskierter Unbekannter wahllos Jagd auf meist hilflose Opfer macht. Lose basierte dieser Film auf einer Mordserie, die sich 1946 in der amerikanischen Kleinstadt Texarkana zugetragen hatte und die immer noch ungeklärt ist. Dass sich der Film als Dokudrama ausgab, sorgte in den folgenden Jahren für viel Verwirrung, Fiktion und Fakten vermischten sich, urbane Legenden wurden geboren, genau der Stoff also, den das Genrekino so liebt.

In seiner erfolgreichen Fernsehserie "American Horror Story" hat sich Ryan Murphy immer wieder mit diesen Mythen und Geschichten auseinandergesetzt, unter der Regie von Alfonso Gomez-Rejon bringt er seine von Popkultur und Metafiktionen geprägte Weltsicht nun auf die Kinoleinwand. Dabei ist "Warte, bis es dunkel wird" kein Remake eines Thriller-Klassikers, wie man sie in den letzten Jahren oft gesehen hat. Vielmehr ist er Fortsetzung, Reimagination, intelligentes Weiterspinnen eines schon 1976 intelligenten Spiels mit Wahrheit und Fiktion.

Ausgangspunkt der Geschichte ist der Gedanke, dass der Originalfilm von 1976 jedes Jahr zu Halloween - wann sonst… - in Texarkana gezeigt wird und sich längst zu einem ironisch konnotierten Event von Jugendlichen entwickelt hat, die sich genüsslich anschauen, was vor Jahrzehnten in ihrer Ortschaft geschah. Doch nun scheinen die Geister der Vergangenheit in die Gegenwart einzudringen: Ein junger Football-Spieler wird brutal ermordet, während seine Freundin Jami (Addison Timlin) traumatisiert überlebt. Während in den folgenden Tagen immer weitere Morde passieren, versucht die Nachwuchsjournalistin Jami auf eigene Faust zu ermitteln. In den Akten der früheren Mordfälle findet sie unterschiedliche Spuren, die jedoch meist ins Leere laufen. Und auch die Polizei, angeführt vom Texas Ranger Morales, genannt "Loe Wolf" tappen im Dunkeln.

Was nun folgt ist kaum mehr als ein Abhaken typischer Genremuster, zahlreicher Morde, fehlgeleiteter Ermittlungen und einer merkwürdigen Auflösung, die eine Fortsetzung offen lässt. Würde man "Warte, bis es dunkel wird" als Versuch betrachten, einen klassischen Horror-Thriller zu drehen, wäre er gescheitert, versteht man ihn jedoch als intertextuelle Meta-Narration macht auch das scheinbar Missglückte Sinn. Auf vielfältige Weise, in Kameraeinstellungen, Einsatz von Musik und Ton, und vor allem durch die Verwendung bestimmter, längst verbrauchter Erzählmuster, zitiert Gomez-Rejon die Geschichte des Genres  und variiert dabei nicht zuletzt den Originalfilm selbst. Der war schon eine Fiktion, die sich den Anschein der Realität gab und dieses Spiel wird nun noch einmal weitergespielt. Das Ergebnis ist eine fast schon zu clevere Metaerzählung, die als eigenständiger Film kaum funktioniert, aber umso mehr Vergnügen bereitet, je mehr man sich den Mustern des Genres bewusst ist.
 
Michael Meyns