Warten auf Bojangles

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Ist Liebe eine Illusion? Oder gleich das ganze Leben? Luftschlösser bauen die Figuren von Régis Roinsards Tragikomödie „Warten auf Bojangles“, leben ein exzessives, unbeschwertes Leben – bis der Kater kommt und die Depression beginnt. Ein gewagtes Konstrukt, basierend auf dem Erfolgsroman von Olivier Bourdeaut.

Frankreich 2021
Regie: Régis Roinsard
Buch: Régis Roinsard, Romain Compingt, nach dem Roman von Olivier Bourdeaut
Darsteller: Romain Duris, Virginie Efira, Grégory Gadebois, Solan Machado-Graner, Elisa Maillot, Morgane Lonbard

Länge: 124 Minuten
Verleih: Studio Canal
Kinostart: 4. August 2022

FILMKRITIK:

Ende der 50er Jahre beginnt „Warten auf Bojangles“, in einer Villa an der Côte d’Azur, bei strahlendstem Sonnenschein. Lässig bewegt sich Georges (Romain Duris) über die Party, mischt sich unter die Reichen und Schönen, doch man merkt schnell, dass er nicht wirklich dazugehört. Niemand erkennt ihn, niemand steigt zunächst auf seine Avancen ein, doch sobald er einmal einen Hauch von Aufmerksamkeit bekommt, ist Georges nicht mehr zu bremsen. Denn er ist ein Aufschneider, ein Poser, der spektakuläre Geschichten erzählt, sich mal als rumänischer Prinz, mal als Sohn eines amerikanischen Autoherstellers vorstellt.

Doch Georges ist nicht der einzige Aufschneider auf der Party: Sein „Kollege“ Charles (Grégory Gadebois), der nur als Mistkerl bezeichnet wird, ist ebenfalls unterwegs und hat jemanden mitgebracht: Die atemberaubende Camille (Virginie Efira), die allerdings an diesem Tag gern als Antoinette angeredet werden will: Jeden Tag den selben Namen tragen sei doch viel zu langweilig. Hals über Kopf verliebt sich Georges in die blonde Schönheit, doch nach einer wilden Nacht (ausgerechnet auf dem Altar einer Kapelle!) ist Camille verschwunden. So eine Illusion kann man nicht lange aufrechterhalten, meint Camille, die sich besser kennt, als es Georges für lange Zeit tun wird.

Ein Zeitsprung: Camille hat dem Werben von Georges nachgegeben, ein Kind wurde geboren und 1967 ist der kleine Gary (Solan Machado-Graner) neun Jahre alt und wird in der Schule gehänselt, weil niemand glaubt, dass seine Eltern jeden Abend ausschweifende Partys feiern und er als Haustier einen Reiher besitzt. Exzessiv und ausgelassen ist das Leben der kleinen Familie, doch erste Brüche zeichnen sich ab: Dass Georges jeden Morgen zur Arbeit geht behagt Camille immer weniger, viel zu normal erscheint ihr das, viel zu wenig einem Leben am Rande des Vulkans entsprechend. Und bald zeigt sich, wie fragil das Konstrukt ist, in dem sich Georges und Camille ihre Luftschlösser gebaut haben.

Hinter den schönen Schein der Glücksseligkeit blickt Régis Roinsard in „Warten auf Bojangles“, hinter die Illusion, der besonders gern französische Romanzen und Liebesfilme nachhängen, dass mit dem Finden der Liebe alles andere verschwindet und jedes Problem erledigt ist. Man mag hier auch an die letzte Einstellung von „Die Reifeprüfung“ denken, wenn Dustin Hoffmann und Katharine Ross hinten im Bus sitzen, nach der Flucht aus der Kirche, weg von den Konventionen, der erste Rausch sich gelegt hat und langsam die Frage in ihnen wächst was denn nun kommen wird.

Doch wie hinter die Kulisse des Exzess blicken, ohne den Exzess selbst zu inszenieren? 30, 40 Minuten lang wirkt „Warten auf Bojangles“ wie die Verfilmung von François Truffauts Bonmot, dass Kino heißt, schöne Frauen schöne Dinge tun zu lassen. Einen Rausch inszeniert Régis Roinsard hier, Ausgelassenheit, Schönheit, Exzess. Hier schon die Abgründe zu ahnen, die sich bald zeigen werden fällt schwer und das macht den Bruch der Erzählung so harsch. Ob man hier mitgeht, davon hängt ab, was man von „Warten auf Bojangles“ halten mag, denn in der zweiten Hälfte wird Camilles Depression immer extremer, bis sie im unweigerlichen Ende mündet.

Als erzählerisches Experiment könnte man diese Tragikomödie verstehen, als Versuch, dem schönen Schein den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Man muss sich wohl ganz auf dieses Konstrukt einlassen, so wie es die beiden Hauptdarsteller Romain Duris und Virginie Efira augenscheinlich getan haben, die mit Verve über jede noch so extreme Wendung hinwegspielen. Im Reigen der glatten, oft auch seichten romantischen Komödien und Romanzen ist „Warten auf Bojangles“ in jedem Fall eine willkommene Abwechslung.

 

Michael Meyns