Was ist schon normal

Zum Vergrößern klicken

Auf der Flucht vor der Polizei kommen zwei Bankräuber in einem Ferienlager für Erwachsene mit Behinderungen unter. Es ist der Beginn eines schrägen Ausflugs voller Missverständnisse. Der französische Kino-Hit „Was ist schon normal“ ist als Feel-Good-Sommerkomödie angelegt, funktioniert auf diese Weise allerdings nur bedingt. Es fehlt dem Film an unbeschwerter Leichtigkeit und Differenziertheit, stattdessen dominieren einfallslose, plumpe Running-Gags und derber Humor. Erzählerisch dürftig gehalten, bleibt die dramaturgisch konventionelle Produktion hinter den Erwartungen zurück.

Originaltitel: Un p’tit truc en plus
Frankreich 2024
Regie: Artus
Drehbuch: Artus, Milan Mauger
Darsteller: Artus, Clovis Cornillac, Marc Riso

Verleih: Square One Entertainment
Länge: 99 Minuten
Kinostart: 05. September 2024

FILMKRITIK:

Nach einem Banküberfall befinden sich Paulo (Artus) und sein Vater (Clovis Cornillac) auf der Flucht. Um vor der Polizei sicher zu sein, schließen sie sich einer Reisebus-Gruppe an, die auf dem Weg in ein Ferienlager in den Bergen ist. Bei der Gruppe handelt es sich um junge Erwachsene mit Behinderung und um nicht aufzufliegen, gibt auch Paulo vor, einer der Bewohner zu sein. Sein Vater tritt als sein Betreuer auf. Es ist der turbulente Start ganz außergewöhnlicher Ferien, in denen die Betrüger jederzeit auffliegen können.
Bei Filmen über Menschen mit Behinderungen und Erkrankungen bedarf es einer gewissen Sensibilität auf Seiten des Regisseurs. Gerade, wenn diese als Komödien angelegt sind. Beispiele für feinfühlige und doch oft optimistische und heitere Filme sind „Hasta la vista“ oder die deutsche Produktion „Vincent will Meer“. Der französische Regisseur und Darsteller Victor-Artus Solaro (kurz: Artus) geht mit „Was ist schon normal“ einen gänzlich anderen Weg. Und setzt fast durchweg auf groben Witz und Brachial-Humor.
Während etwa „Hasta la vista“ von klugem, hintersinnigem Dialogwitz durchzogen ist, lässt Artus diesen Ansatz weitestgehend vermissen. Stattdessen konzentriert er sich auf überspitzte Situationskomik und Slapstick-hafte Momente. So fliegen einer Bewohnerin des Ferienlagers unentwegt irgendwelche Spielgeräte, meist Bälle, ungebremst ins Gesicht. Am Ende des Ausflugs ist ihr Gesicht übersät von blauen Flecken.
Der dramaturgisch wenig ausgefeilte „Was ist schon normal“ lebt von diesen, sich wiederholenden Scherzen, die sich recht schnell abnutzen. Darunter der Running Gag rund um das schon optisch nicht gerade ansprechende und lieblos servierte Essen in der Unterkunft, zubereitet von der Herbergsmutter und ihrem vergesslichen Sohn.
Zwar hat sich Artus Mühe gegeben, jeder Figur charakteristische Wesenszüge mitzugeben und sie mit spezifischen Eigenheiten auszustatten. Allerdings verlässt sich der Filmemacher zu sehr auf diese Art der Figurenzeichnung und die spezifischen Merkmale, da er sie unentwegt wiederholt. Da ist ein Bewohner, der beständig mit Ausdrücken und groben Beschimpfungen um sich wirft. Ein anderer wird nicht müde, seine (beinahe wahnhafte) Liebe zur französischen Sängerin Dalida zu betonen. Das mag zu Beginn alles noch recht pfiffig erscheinen, auf Dauer aber wirkt es uninspiriert und dröge.
Am ärgerlichsten sind der unangebrachte Fäkalhumor und die vielen sexuellen Anzüglichkeiten und Anspielungen. Natürlich übertreibt Artus bewusst und er möchte damit gezielt provozieren, doch einige der Scherze und Dialoge sind unglücklich und verzichtbar. Dass er darüber hinaus etliche Klischees und Vorurteile über Menschen mit Behinderung sowie über Homosexuelle bedient, unterstreicht nur den Mangel an Sensibilität und differenzierter Betrachtung.
Doch nicht alles ist misslungen. Clovis Cornillac hat als überforderter Vater, der im Umgang mit den Behinderten neue Seiten an sich entdeckt, starke Momente. Und Alice Belaïdi überzeugt mit authentischem Spiel, obwohl ihre Figur der engagierten Betreuerin eher oberflächlich angelegt ist. Überhaupt die Authentizität: Die meisten Nebenfiguren werden von Laienschauspielerin mit echten Behinderungen verkörpert. Das allein sorgt bereits für einen gewissen Grad an Realismus und Glaubwürdigkeit. Allerdings drängt sich unter diesem Gesichtspunkt noch mehr die Frage auf, wieso Artus bei seiner Charakterzeichnung und der Darstellung der individuellen Beeinträchtigungen so überzogen und brüsk zu Werke gehen muss.

Björn Schneider