Plötzlich ist alles anders … Sandra hat sich ihr Leben als unabhängige Singlefrau nicht nur selbst ausgesucht, sondern sich darin auch sehr gut eingerichtet. Doch damit ist nun Schluss: Praktisch von einem Moment zum nächsten bekommt sie eine neue Familie inkl. zwei Kindern und ihrem Vater.
Was ein kitschiges Familien-Melodram hätte werden können, wird unter Carine Tardieus Inszenierung ein unpathetischer und vielleicht gerade deswegen sehr realistischer und anrührender Film – mit der grandiosen Valeria Bruni Tedeschi in der Hauptrolle.
Über den Film
Originaltitel
L’Attachement
Deutscher Titel
Was uns verbindet
Produktionsland
FRA,BEL
Filmdauer
105 min
Produktionsjahr
2024
Regisseur
Tardieu, Carine
Verleih
Alamode Filmdistribution oHG
Starttermin
07.08.2025
Alex, Cécile und Sandra sind Nachbarn, sie wohnen gegenüber auf derselben Etage. Cécile erwartet ihr zweites Kind, die Wehen haben unerwartet früh eingesetzt, und Alex will seine Frau so schnell wie möglich ins Krankenhaus bringen. Die Zeit drängt, aber da ist auch der sechsjährige Elliot, der nicht alleine bleiben kann, und so kommt Alex auf die Idee, die Frau von nebenan zu bitten, auf den kleinen Jungen aufzupassen. Sie willigt ein, natürlich lässt sie ihre Nachbarn nicht im Stich und nimmt Elliot kurzerhand zu sich in die Wohnung. Ziemlich schnell findet die allein lebende Buchhändlerin, eine Frau um die 50, einen Draht zu dem pfiffigen Jungen, obwohl sie eigentlich mit Kindern wenig zu tun hat. Und Elliot fühlt sich offenbar sehr wohl in Gesellschaft der älteren Dame, die so gar nichts Mütterliches an sich hat. Die Zeit vergeht, und als Alex mitten in der Nacht wieder vor der Tür steht, ist er in Tränen aufgelöst, denn Cécile ist bei der Geburt gestorben, und nun ist er allein mit Elliot und dem Baby. Elliot schläft, und Sandra bittet Alex, den Kleinen schlafen zu lassen, dann hätte er seine Mutter noch ein wenig länger.
Dieser gleichzeitig gefühlvolle und pragmatische Anfang ist symptomatisch für eine Geschichte, die sensibel und zärtlich, von leisem Optimismus erfüllt und erfreulich kitschfrei vom Leben und vom Umgang mit Schicksalsschlägen erzählt: Alex ist in Trauer, aber gleichzeitig muss er sich um das Baby kümmern und in seine Rolle als alleinerziehender Vater hineinwachsen. Und dank Elliot, der beschlossen hat, dass Sandra seine beste Freundin ist, hat Sandra nun eine komplette neue Familie bekommen. Dadurch verändert sich ihr ganzes Leben, das sie sich mit ihrem feministischen Buchladen, einem großen Freundeskreis und gelegentlichen Lovern prachtvoll eingerichtet hatte. Ihre eigene Familie hat sie dabei immer auf Distanz gehalten. Aber nun ist alles anders, und über den Kontakt mit Elliot entsteht auch eine neue Beziehung zu Alex, der aus seiner Trauer gar nicht herausfindet und beinahe noch mehr Zuwendung braucht als der Junge. Elliot, so stellt sich heraus, ist gar nicht sein leiblicher Sohn, sondern stammt aus einer früheren Beziehung von Cécile. Dass Cécile überhaupt noch einmal schwanger geworden ist, obwohl sie eigentlich nicht wollte, liegt an Alex, der unbedingt ein eigenes Kind wollte. Und zu seiner Trauer kommen nun auch noch Schuldgefühle, für die er eigentlich gar keine Zeit hat. Denn seine Kinder brauchen ihn, das Baby Lucille noch mehr als Elliot, der die Stimmungen seines Vaters wie ein Seismograph registriert und sich immer mehr an Sandra orientiert.
Die Regisseurin und Autorin Carine Tardieu („Im Herzen jung“) erzählt ihre Geschichte über einen Zeitraum von zwei Jahren, untermalt von wunderschönen, sanft melancholischen Gypsy-Jazz-Klängen und gegliedert durch Inserts, die Lucilles Alter anzeigen – wie ein optimistischer Blick in die Zukunft. Dabei führt Carine Tardieu immer mehr Personen ein, spinnt neue Handlungsfäden und verwebt all das zu einer Patchwork-Familiendecke mit vielen bunten Flicken. Das ist ebenso liebenswürdig wie realistisch … und gut beobachtet. Im Mittelpunkt des Films steht auf diese Weise neben der Herausforderung, mit Schicksalsschlägen umzugehen, auch der Appell, sich auf das Wesentliche zu besinnen und den Moment zu genießen.
Doch das ist schwierig in einer modernen Welt, in der sich praktisch jeder Mensch schon ohne Schicksalsschläge überfordert fühlt. Der kluge Elliot spricht es aus: „Erwachsene haben nie Zeit“, konstatiert er und meint damit auch seine Freundin Sandra. Die wunderbare Valeria Bruni Tedeschi („Der Sommer mit Anaïs“) spielt sie mit herbem Charme als ziemlich unmütterliche und durchaus komplizierte Frau Mitte 50, die zu Beginn sogar leicht zickig wirkt und immer sympathischer wird, wobei sie sich aber dennoch treu bleibt. Mit ihrer Klugheit und ihrem feinen Gespür für Stimmungen wird sie nicht nur für Elliot zur Vertrauten, sondern auch für den emotional stark herausgeforderten Alex, den Pio Marmaï sehr sensibel und mit glaubwürdigen emotionalen Verwerfungen darstellt – ein Mann, der versucht, irgendwie zurechtzukommen und jederzeit zusammenbrechen könnte unter der Last, die er plötzlich tragen muss. Doch dann geht es doch irgendwie. Alles wie im richtigen Leben.
Gaby Sikorski
Gaby Sikorski