Was will der Lama mit dem Gewehr?

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Wie in seinem zauberhaften Kinodebüt „Lunana – Das Glück liegt im Himalaya“ (2019) geht es auch in Pawo Choyning Dorjis neuem Film um das kleine Königreich Bhutan, das nach Modernisierung strebt: Gleich nach Fernsehen und Internet soll auf Befehl des Königs die Demokratie in Bhutan eingeführt werden.
Und wieder ist Pawo Choyning Dorji eine großartige Komödie gelungen, die scheinbar harmlos und beinahe niedlich daherkommt, aber nicht an kritischen Anspielungen in Richtung Kapitalismus und Globalisierung spart: eine entzückende Satire!

The Monk and the Gun
Bhutan, USA, Frankreich, Taiwan 2023
Buch und Regie: Pawo Choyning Dorji
Kamera: Jigme Tenzing
Darsteller: Tandin Wangchuk, Deki Lhamo, Pema Zangmo Sherpa, Tandin Sonam, Harry Einhorn

Länge: 107 min.
Verleih: MFA+
Kinostart: 1. August 2024

FILMKRITIK:

Der Film spielt im Jahr 2006, als der König von Bhutan seine Abdankung ankündigt, damit sein Land eine Demokratie werden kann. Dafür soll das Volk von Bhutan angemessen vorbereitet werden: Es sollen Testwahlen stattfinden, bei denen so ungewohnte Verrichtungen wie die Stimmabgabe erstmal ausprobiert werden können, ebenso wie der Wahlkampf, den drei fiktive Parteien gegeneinander führen sollen. Eine echte Herausforderung angesichts der unerfahrenen Landbevölkerung, aber die engagierte Wahlleiterin Tshering Yangden (Pema Zangmo Sherpa) gibt ihr Bestes, damit die ersten demokratischen Wahlen in Bhutan ein Erfolg werden. Womit sie nicht gerechnet hat, ist: Die Wahlen wecken auch Begehrlichkeiten, wenn es nicht nur um Möglichkeiten der Mitbestimmung, sondern auch um Posten, Ruhm und Geld geht. Parallel dazu wird die Geschichte des Mönchs Tashi (Tandin Wangchuk) erzählt, der im Auftrag seines Lamas bis zum nächsten Vollmond zwei Gewehre beschaffen soll. Wofür die Gewehre benötigt werden, bleibt im Dunkeln, aber als gehorsamer Mönch erfüllt Tashi seinen Auftrag. Dabei ahnt er nicht, dass die beiden einzigen Gewehre, die er in dem friedliebenden Land finden kann, auch die Aufmerksamkeit eines aufgeweckten Händlers (Tandin Sonam) geweckt haben.

Den Hintergrund bilden wieder die majestätischen Gipfel des Himalaya, während im Vordergrund die drei Personen stehen. Pawo Choyning Dorji erzählt zusätzlich zu seiner starken Story wieder viel vom Alltag in Bhutan, diesem kleinen Land mitten im Himalaya, übrigens der einzige Staat, der tatsächlich klimaneutral lebt und, wie wir seit „Lunana“ wissen, auch deshalb einmalig, weil er das „Bruttonationalglück“ und nicht die Wirtschaftskonjunktur als Faktor für die Entwicklung des Landes festlegt. Da es in Bhutan mit seinen knapp 800.000 Einwohnern keine Schauspielszene gibt, hat Dorji wieder mit Laiendarstellern gearbeitet, die ebenso wie in „Lunana“ so natürlich und ungekünstelt spielen, dass man sie einfach ins Herz schließen muss. Die bewährte Kameraarbeit von Jigme Tenzing fängt wunderbare Landschaftsbilder ein, in denen immer mal deutlich wird, wie klein der Mensch gegenüber der Natur ist. Er präsentiert das Land Bhutan in seiner ganzen Vielfalt und Schönheit – idyllische Bergdörfer, ein buddhistisches Kloster, das am Felsen klebt, sattgrüne Täler, eisige Höhen und ein Regenbogen, der sich übers Land spannt.

In ruhigen Bildern zeigt Pawo Choyning Dorji mit viel Liebe und Humor sein Land als Ort, wo die Menschen mit der Natur leben, der sie denselben Respekt erweisen wie der Religion und ihren Mitmenschen. Dorji, ein erklärter Tarantino-Fan, spart in seiner tatsächlich ziemlich spannenden Geschichte nicht mit Anspielungen und ironischen Kommentaren zum Fortschritt, der bekanntlich oft mehr zerstört als erreicht. Er feiert mit liebenswürdigem, scharfsinnigem Humor, aber auch mit einer beeindruckenden visuellen Eleganz die Unschuld und Pfiffigkeit seiner Landsleute, die ziemlich genau wissen, in welch beklagenswertem Zustand sich die Erde und die Menschheit befinden. Doch vor allem jüngere Leute sehnen für Bhutan die Modernisierung herbei, der sie mit naiver Freude begegnen. Das gilt für einen Fernseher, der erstmal gesegnet werden muss, wie für die geplanten Wahlen, die mit ihren unerwünschten Nebenwirkungen in Gestalt von Rivalitäten innerhalb der Dorfbevölkerung, für Unruhe sorgen und den Wahlkampf bis in die Familien tragen. Die Wahlleiterin Tshering Yangden will bei der Landbevölkerung nicht nur für Aufklärung hinsichtlich der demokratischen Neuerungen sorgen, sondern auch die Folgeerscheinungen irgendwie bewältigen. Dadurch gerät sie selbst in Zweifel, denn warum soll es unterschiedliche Parteien geben, wenn das zu Unfrieden zwischen den Familien führt? Es waren doch alle glücklich …

Pawo Choyning Dorji macht aus einer scheinbar treuherzigen Geschichte eine ziemlich gepfefferte Allegorie, in der er der gesamten Welt den Spiegel vorhält und zeigt, dass es auch anders ginge. Denn von Bhutan lernen heißt glücklich werden. Und mit Weisheit und Geschicklichkeit lassen sich vielleicht mehr Probleme lösen, als man denkt.

 

Gaby Sikorski