Waste Land

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Am Anfang war der Müll. Am Ende stand die Einladung nach Sundance, der „Panorama“-Publikumspreis und der Amnesty International Film Award auf der Berlinale sowie eine Oscar-Nominierung. Der Preisregen samt allseits euphorischer Kritiken gilt einer Dokumentation, die den brasilianischen Star-Künstler Vik Muniz bei einem ungewöhnlichen Coup begleitet: Auf der weltweit größten Müllkippe, den Jardim Gramacho von Rio de Janeiro, inszeniert Muniz Fotos mit den dortigen Müllsammlern. Das Ergebnis ist keine voyeuristisch obszöne Zurschaustellung des Elends, sondern ein überraschend unterhaltsames Porträt über die Kunst, den Müll, die Armut - und die Würde des Menschen.

Webseite: www.realfictionfilme.de

Brasilien 2010
Regie: Lucy Walker
Darsteller: Sebastiao Carlos Dos Santos, Jose Carlos Da Silva Bala Lopes Suelem Pereira Dias Isis Rodrigues Garros
Laufzeit: 98 Minuten
Kinostart: 26.5.2011
Verleih: Real Fiction Filmverleih

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Sie leben vom Müll, die sogenannten „Catadores“, die Müllpflücker, die tagtäglich die gigantischen Abfallberge der Millionen-Metropole Rio de Janeiro nach Recycling-Material durchwühlen. Schon als Kinder beginnen sie ihre Karriere im Dreck. Diesen rund 2.000 Menschen vom Müllberg will Brasiliens erfolgreichster Künstler Vik Muniz mit einem ambitionierten Projekt ein Denkmal setzten, begleitet von der Dokumentarfilmerin Lucy Walker. Der Ort des Elends als Kulisse für eine coole Foto-Installation? Was nach einer zynischen Idee von Werbe-Koksnasen klingen mag, gerät bei Muniz zu einem ebenso eindrucksvollen wie spannenden Kunst-Projekt auf Augenhöhe. Zum einen, weil der kreative Star selbst aus armen Verhältnissen stammt und seine Wurzeln nie vergessen hat. Zum anderen, weil seine Objekte der fotografischen Begierde sich als enorm eindrucksvolle Persönlichkeiten präsentieren.

Echte Menschen seien das neue Kinogold, hat unlängst Kultregisseur David O. Russell („The Fighter“) als clevere Trend-Parole ausgegeben. Tatsächlich könnte kaum ein Drehbuchautor sich ein faszinierenderes Figurenkarussell ausdenken als dieses halbe Dutzend Catadores.
Sie gehören zu den Ärmsten der Armen, aber sie haben sich am Rande der Gesellschaft eine Würde bewahrt, die man gemeinhin kaum für möglich halten würde. Da wäre ein Typ wie Tiao, ein junger charismatischer Träumer, der gegen alle Widerstände eine Kooperative der Müllpflücker gegründet hat. Oder Zumbi, ein umtriebiger Intellektueller, der sich Bücher aus dem Abfall fischt. Da wäre jene junge Mutter, die sich lieber mit dem Müll-Job über Wasser hält, als sich zu prostituieren. Oder dieser alte Mann, der nie eine Schule besucht hat, sich dafür sogar entschuldigt und im nächsten Atemzug überaus klug über Recycling im Besonderen und das Leben im Allgemeinen so listig wie lustig philosophiert. Solche Biografien bewegen und sie begeistern, weil diese Menschen sich allen Widrigkeiten und allem Elend zum Trotz auf ihre bescheidene Art ein kleines, großes Stück Würde bewahrt haben: Sympathische Stehaufmännchen an einem der elendesten Orte dieser Welt.

So ergreifend der Film diese faszinierenden Figuren porträtiert, so einfühlsam setzt Muniz den Müllpflückern ein künstlerisches Denkmal. Er fotografiert sie nach berühmten Vorlagen, projiziert die Aufnahmen anschließend auf den Boden einer Lagerhalle und lässt die Beteiligten die Flächen mit buntem Recycling-Material auffüllen: Malen nach Müll-Zahlen.

Im fernen London bringt das Porträt von Tiao auf einer exklusiven Kunst-Auktion bei Phillipe de Pury stolze 28.000 britische Pfund – die Muniz selbstredend dem Catadores-Projekt spendet. Die Betroffenen sind allesamt angetan und stolz auf diese Kunst, die ihrem Leben gewidmet ist. Eine spätere Ausstellung im Museum von Rio entwickelt sich zum absoluten Publikumsmagneten. Sie zeige „Größe, Würde und emotionale Intelligenz” bescheinigt die Kuratorin den Bildern – das gilt ganz und gar auch für diese wunderbare, so bewegende wie unterhaltsame Dokumentation.

Dieter Oßwald

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