Szenen einer Ehe – Die Kinder sind aus dem Haus, ein Tag gleicht dem anderen, Resignation und Alltagsroutine bestimmen ihr Leben. Die Rede ist von Marianne und Günter, die seit über fünf Jahrzehnten verheiratet sind. Da ermöglicht eine Wunderpille den Eheleuten eine Rückkehr zum Beginn ihrer Liebe. Der zwischen Zwei-Personen-Kammerspiel, Ehedrama und Komödie angesiedelte Film „Weißt du noch“ erweist sich als lebensklug, lustig und hintersinnig. Er verweigert sich nicht der – oft traurigen – Wahrheit und Realität, lässt aber genug Raum für Hoffnung und Lichtblicke.
Deutschland 2023
Regie: Rainer Kaufmann
Buch: Martin Rauhaus
Darsteller: Senta Berger, Günther Maria Halmer,
Konstantin Wecker
Länge: 94 Minuten
Verleih: Majestic
Kinostart: 21. September 2023
FILMKRITIK:
Bei Marianne (Senta Berger) und Günter (Günther Maria Halmer) haben nach über 50 Jahren Ehe längst Alltag und Routine Einzug gehalten. Und dann ist da noch diese Vergesslichkeit: Das Gedächtnis der beiden Rentner*innen lässt nach, und damit auch die Erinnerungen an die schönen Anfangszeiten der Beziehung. Da bekommt Günter von einem Freund eine neuartige Pille überreicht, die sämtliche Erinnerungen in Rekordzeit zurückbringen soll. Kurz nach der Einnahme passiert tatsächlich so etwas wie ein Wunder. Plötzlich können sich Marianne und Günter wieder erinnern. An die berauschende Verliebtheitsphase, tolle Urlaube, gemeinsame Erlebnisse und die Dinge, die sie am anderen einst so schätzten. Doch wie lange wird die Wirkung anhalten und was passiert dann?
Mit Ehepaaren, die mit den Tücken des Alltags zu kämpfen haben und sich in einer (Dauer-) Krise befinden, kennen sich Regisseur Rainer Kaufmann und Drehbuchautor Martin Rauhaus aus. Schon in ihrem Beziehungsdrama „Und wer nimmt den Hund?“ haben sie auf humorvolle Weise Kommunikationsprobleme offengelegt und die Herausforderungen einer funktionierenden Beziehung herausgearbeitet. Auch die Ehe von Günter und Marianne befindet sich in einer Sackgasse. Und das seit vielen, vielen Jahren.
Um die „Bruchstellen“ und den fragilen Zustand ihrer Beziehung darzulegen, nutzen Kaufmann und Rauhaus viele gelungene, augenzwinkernde Entsprechungen und Metaphern. Etwa wenn sie brüchige, sanierungsbedürftige Stellen am und im Haus zeigen, die schlicht zu sehr in die Jahre gekommen sind. Deutliche Abnutzungserscheinungen also, die sich nicht zuletzt im Umgang zwischen den beiden Hauptpersonen zeigen. Marianne und Günter meckern beständig am anderen herum, sind stets mit irgendetwas unzufrieden oder monieren Kleinigkeiten.
Wie sich eine Liebe über die Jahre verändert und warum die Gewohnheit alle Gefühle zunichtemacht, sind nur zwei der Fragen, denen sich „Weißt du noch“ ausführlich widmet. Darüber hinaus beleuchtet der Film weitere nachdenkliche und ernste Themen wie vorschreitende Krankheiten (Demenz) und die Veränderungen von Geist und Körper (Beweglichkeit, Mobilität, Vergesslichkeit) mit zunehmendem Lebensalter. Demgegenüber setzt Kaufmann jedoch trockene Beobachtungen und eine ironische Leichtigkeit, an der die beiden Hauptdarsteller Senta Berger und Günther Maria Halmer gewichtigen Anteil haben.
Mit Ausdrucksstärke und gut getimten komödiantischen Einzelszenen gelingt es ihnen, Sympathien und Mitgefühl für ihre Figuren entstehen zu lassen. Obwohl es einem Günter mit seiner missmutigen, miesepetrigen Art gerade zu Beginn alles andere als leicht macht. Auffallend ist zudem der – räumlich – eng gesteckte und begrenzte Rahmen, in dem sich die Handlung vollzieht. „Weißt du noch“ spielt fast ausschließlich im Haus der Eheleute. Nebenfiguren gibt es so gut wie keine. Insofern wirkt der Film stellenweise mehr wie ein kammerspielartiges Theaterstück.
Stimmung und Tonalität verändern sich mit Wirkung der Wunderpillen ab der Hälfte deutlich – und dieser Schwenk in Richtung berauschender Ausgelassenheit gelingt ausgesprochen gut. Denn mit der Zeitreise, die Marianne und Günter dank der Pillen erleben, geht eine regelrecht ansteckende Ekstase einher. Sie verlieben sich erneut ineinander, tanzen, schmieden Pläne, trinken Sekt und reisen an den Ort des ersten Aufeinandertreffens. Am Ende beweist „Weißt du noch“ Bodenhaftung und eine schonungslose Verortung in der Realität: Alles ist endlich und die Vergangenheit ist vergangen. Unwiederbringlich. Dennoch bleibt ein Funken Hoffnung. Denn Gedanken und Erinnerungen an früher ermöglichen es schließlich, sich die Schönheit und Einmaligkeit jener Zeit wieder und wieder zu vergegenwärtigen.
Björn Schneider