Welcome to Sodom – Dein Smartphone ist schon hier

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Sodom ist in der österreichischen Dokumentation „Welcome to Sodom“ kein Ort aus der Bibel oder den Werken des Marquis de Sade, sondern ein allzu realer Stadtteil der ghanaischen Hauptstadt Accra. Hier landet ein Teil des Elektroschrotts, denn der Westen in Massen fabriziert und der hier unter unmenschlichen Bedingungen wiederverwertet wird. Ein Film über die andere Seite des Kapitalismus, der aufrütteln will und dabei manchmal Gefahr läuft, zu verklären.

Webseite: welcome-to-sodom.de

Dokumentation
Österreich 2018
Regie: Florian Weigensamer & Christian Krönes
Buch: Roland Schrotthofer & Florian Weigensamer
Länge: 92 Minuten
Verleih: Camino Filmverleih
Kinostart: 2. August 2018

FILMKRITIK:

Als umsichtiger, leidlich rücksichtsvoller und auf den Umweltschutz bedachter Bürger entsorgt man seinen Elektromüll natürlich nicht in der Hausmülltonne, sondern bringt ihn zu Deponien, wo all die alten Smartphones, Tablets, Notebooks und sonstigen mit Elektronik vollen Geräte in Containern gesammelt werden. Aber was dann? Vermutlich geht man davon aus, dass dieser Elektroschrott entsorgt oder im besten Fall wiederverwendet wird. Doch ein Teil davon landet in Agbogbloshie, einem Stadtviertel unweit des Zentrums der ghanaischen Hauptstadt Accra, der im Volksmund nur als Toxic City oder Sodom bezeichnet wird.
 
Kein Wunder, wie schon die ersten Aufnahmen von Florian Weigensamer und Christian Krönes Dokumentation „Welcome to Sodom“ zeigen: Eine Müllhalde, soweit das Auge reicht erstreckt sich da, endlose Hügel mit Elektroschrott, auf denen dennoch Ziegen und Schafe rumlungern, warum auch immer, zum Grasen gibt es hier ja nichts. Vor allem aber unzählige Menschen leben auf und von all den entsorgten Elektronikteilen, sammeln Metall, Erze, winzige Mengen der so genannten seltenen Erden, die ursprünglich ebenfalls in Gruben in Afrika, oft im Kongo, abgebaut wurden, was dies Mülldeponie in gewisser Weise zum Teil eines perfiden Kreislaufs macht.
 
Doch so chaotisch die Mülldeponie und die angrenzenden Behausungen auf den ersten Blick auch wirken, nach und nach deutet sich eine komplexe Struktur an, zeigt sich, wie organisiert das Leben hier abläuft. Zahlreiche Bewohner haben die beiden Regisseure beobachtet, Kinder, die Müll sammeln und mit den Händlern um den Preis schachern: Pro Kilo Schrott bekommen sie kaum einen Cedi, umgerechnet keine 20 Euro-Cent, wofür sie tagtäglich auf dem Schrott nach Altmetall suchen. Immerhin stehen sie dabei nicht in den giftigen Dämpfen, die dabei entstehen, wenn die Gummilegierungen der Kabel am offenen Feuer abgebrannt werden, um an das wertvolle Metall zu kommen.
 
Eine regelrechte Stadt hat sich auf der Mülldeponie gebildet, Händler und Zwischenhändler haben ihre Reviere abgesteckt, es gibt Frauen, die Essen und mehr oder weniger sauberes Wasser verkaufen, auch einen leicht wunderlich wirkenden Prediger, der immer wieder auftaucht, als wäre er ein antiker Chor. Ein Hang zur Stilisierung zeigt sich hier, den die Regisseure immer wieder forcieren. Auf klassische Interviews oder gar Kommentare wird vollständig verzichtet, stattdessen erzählen ausgewählte Bewohner aus dem Off und beschreiben ihre Wünsche und Träume.
 
Vielsprechender sind ohnehin die Bilder, Aufnahmen der Mülldeponie, der Baracken und improvisierten Bauten, die von enormen Erfindungsreichtum zeugen. Als Ort „voller Lebensfreude, Hoffnung und unglaublicher Kreativität“ beschreiben die Regisseure Agbogbloshie, was fraglos richtig ist. Doch bei all dieser Faszination für diesen außergewöhnlichen Ort, der wie eine dystopische Zukunftsvision aus einem Science-Fiction-Film wirkt, der in seiner Absurdität kaum weiter von Europa entfernt sein könnte, droht manchmal vergessen zu werden, dass es sich um eine Mülldeponie handelt, auf der Menschen im Elend leben und den vom Westen produzierten Müll durchforsten. Einerseits sicher ein eindrucksvolles Beispiel für das Entstehen informeller Wirtschaftsstrukturen, für den Einfallsreichtum der Ghanaer, andererseits eben doch auch ein einziges Sodom.
 
Michael Meyns