Werk ohne Autor

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Sein 2006 veröffentlichter Kinoerstling „Das Leben der Anderen“ bescherte dem Autor und Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck viel Lob und einen Oscar für den Besten fremdsprachigen Film. Nach dem kraftlosen Hollywood-Thriller „The Tourist“ liefert Donnersmarck mit dem Künstler- und Geschichtsdrama „Werk ohne Autor“ nun eine Art Nachfolger im Geiste zum Debüt. Das dreistündige Epos stemmt einen Erzählbogen von 1937 bis 1966 – mit Stationen im Dritten Reich, der DDR und der BRD. Das wie ein Uhrwerk getaktete Skript und das Ensemble um Tom Schilling („Oh Boy“), Paula Beer („Frantz“) sowie Sebastian Koch („Nebel im August“) tragen dabei mehr zum Gelingen bei als die zurückhaltende Inszenierung.

Webseite: https://deinkinoticket.de/werkohneautor/infos

Deutschland, Italien 2018
Drehbuch & Regie: Florian Henckel von Donnersmarck
Darsteller/innen: Tom Schilling, Sebastian Koch, Paula Beer, Saskia Rosendahl, Oliver Masucci, Evgeniy Sidikhin, Ulrike C. Tscharre, Hanno Koffler, Jörg Schüttauf, Ben Becker, Lars Eidinger.
Laufzeit: 188 Min.
Verleih: Walt Disney Germany
Kinostart: 3. Oktober 2018

PRESSESTIMMEN:

„Ein episches Werk. Kunst vor dem Hintergrund von Geschichte.“
ARD tagesthemen
 
„…ein mitreißendes Werk… Die Oscar-Wetten können beginnen.“
SPIEGEL online
 

„Deutscher Wettbewerbsfilm begeistert in Venedig. …Trotz der starken Konkurrenz ist ein Preis für diese hoch emotionale Achterbahnfahrt durch die Jahrzehnte, die den Wahnsinn und die Tragik des 20. Jahrhunderts am Beispiel dreier Schicksale beleuchtet, durchaus denkbar.“
Stuttgarter Zeitung
 
„Donnersmarck gelingen immer wieder Seitenblicke in die 50er- und vor allem die frühen 60er-Jahre, die einem das Herz aufgehen lassen. …ein reiches Sittengemälde und zugleich ein Porträt des Künstlers als junger Mann. Ein gewagter, ein großer Wurf, eines Gerhard Richters würdig.“
Berliner Zeitung

Unterrichtsmaterial:

Ein FILMHEFT für den Unterricht von Vision Kino - Netzwerk für Film- und Medienbildung hier...

FILMKRITIK:

Vor der Berliner Pressevorführung erklärte Florian Henckel von Donnersmarck in einer kurzen Ansprache, dass „solche Filme“ künftig vielleicht gar nicht mehr produziert werden. Gemeint war weniger das Sujet des Films (historische Stoffe erhalten in Deutschland quasi automatisch Fördermittel), sondern die erzählerische Breite. Donnersmarck erzählt über drei Jahrzehnte hinweg und spiegelt die Gesellschaftskontexte in den Biografien der Hauptfiguren.

Der ambitionierte Ansatz erinnert an klassische Bildungs- und Künstlerromane wie Goethes „Wilhelm Meister“ oder an Fassbinders „Die Ehe der Maria Braun“, der wiederum auf die 50er-Melodramen von Douglas Sirk („In den Wind geschrieben“) rekurrierte. Aktuell finden umfassende Bestandsaufnahmen wie „Werk ohne Autor“ vornehmlich in Serienform statt, seltener auf der Kinoleinwand. Doch die vielen Details, durch die das Drama an Tiefe und Vielschichtigkeit gewinnt, drohen bei einer Sichtung am Laptop unterzugehen.

Im Zentrum der Handlung steht der angehende Maler Kurt Barnert (als Kind Cai Cohrs, später Tom Schilling). Ende der 1930er-Jahre muss er als kleiner Junge mit ansehen, wie seine an Schizophrenie erkrankte Tante Elisabeth (Saskia Rosendahl) zu Hause abgeholt und in eine Psychiatrie zwangseingeliefert wird. Zuvor hatte Kurt mit der jungen Frau die Nazi-Wanderausstellung zur „Entarteten Kunst“ besucht, bei der ein von Lars Eidinger gespielter Museumsführer Kandinsky und andere moderne Kunstschaffende belächelt, während Elisabeth und Kurt die Bilder als schön empfinden. Auf der Heimfahrt meint der Bub zur Tante: „Ich find dich besser als Hitler.“ Elisabeths Einfluss auf Kurts Charakterbildung tritt im Auftakt deutlich hervor. Sie ermuntert den Neffen zum Malen und gibt ihm zwei Prämissen mit auf den Lebensweg: „Sieh niemals weg“ und „Alles, was wahr ist, ist schön“. Ihre dramatische Zwangseinlieferung bedeutet jedoch einen Abschied für immer: Die Tante kehrt nie nach Hause zurück.

Der Grund für Elisabeths Verschwinden ist das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten, die das „unwerte Leben“ geistig oder körperlich behinderter Menschen aus der arischen „Erbmasse“ tilgen wollten. Im Verlauf der Aktion T4 wurden für diesen Zweck mehr als 200.000 Menschen ermordet.

1940 tut sich der angesehene Gynäkologie Professor Seebald (Sebastian Koch) bei einer Konferenz in Berlin als Befürworter des Euthanasieprogramms hervor. Sein rotes Kreuz unter den Krankenakten schickt die Schutzbefohlenen in den Tod. Seebald agiert jedoch nicht nur als Schreibtischtäter, sondern führt aktiv Zwangssterilisationen durch.

Im Februar 1945 erlebt Kurt die Luftangriffe auf Dresden mit. In einem magischen Moment regnen zur Funkverkehrsstörung Stanniolstreifen vom Himmel, bevor Donnersmarck die Auswirkungen der Fliegerbomben drastisch bebildert. Parallel dazu geht Kurts Tante im Keller einer Euthanasieanstalt ins Gas...

Der Verlust der Tante und die Kriegsschrecken prägen das Leben des Protagonisten. In der DDR der 1950er erhält der nun Anfang-20-Jährige einen Studienplatz an der Kunstakademie, wo der sozialistische Realismus den Ton angibt. Kurt kommt mit der Modestudentin Ellie (Paula Beer) zusammen, die seiner toten Tante zum Verwechseln ähnelt. Deren strenger Über-Vater ist ausgerechnet der „Krankenmörder“ Seebald, der einem Prozess entging und nach wie vor als Klinikdirektor arbeitet. Kurt weiß nicht um die dunkle Vergangenheit des Schwiegervaters, doch die Konflikte schwelen auch so und beeinflussen Kurts Arbeit als Maler entscheidend mit...

Hier beginnt der Hauptteil von „Werk ohne Autor“, der via Flucht über den Berliner Bahnhof Friedrichstraße bis an die progressive Düsseldorfer Kunstakademie führt. Es spricht für das Drehbuch von Donnersmarck, dass die vielen Informationen in sehr verdichteter Weise transportiert werden. Trotz Überlänge wirkt das Kinodrama bündig erzählt, ohne Längen, Stillstand oder Wiederholungen. Der groß angelegte Plot führt durch drei Epochen und drei politische Systeme, sucht und findet die historischen Verbindungslinien und die zeitlosen Aspekte des Stoffs in privaten, vielgestaltigen Personenkonstellationen.

Die ausgewählte Besetzung trägt maßgeblich zur Emotionalität der Schilderung bei. Tom Schilling vermittelt den Weg des Malers zur eigenen Künstlersprache als zaghaften, langwierigen, doch entschlossenen Akt. Wie bei Paula Beer bleibt zu vermuten, dass seine Augen – ohnehin ein Leitmotiv – per Lichtsetzung oder Farbkorrektur betont wurden: Nie strahlte das Veilchenblau in Schillings Blick intensiver, selten konnte man so viel darin lesen.

Während Drehbuch und Ensemble exakt justiert wurden, fällt Donnersmarcks Inszenierung sehr dezent aus. Wie in „Das Leben der Anderen“ nutzt der Regisseur die Vielfalt filmischer Mittel vor allem, um den Dialogen und Darsteller/innen eine Bühne zu bereiten. Doch die – positiv formuliert – unaufdringliche Machart mit Stativaufnahmen, übersichtlichen Schnitten, gediegenen Schärfeverlagerungen und Auflösungen schafft zugleich den Resonanzboden für kleine Beobachtungen. Dass auch eine schlichte Form eine intensive Wirkung entfalten kann, beweist eine genial arrangierte Szene, in der Kurts Kindheitstraumata Einzug in seine Kunst halten.

Mitunter überschreitet Donnersmarck die Grenze zum Kitsch, was auch im Score von Max Richter („Rückkehr nach Montauk“) widerhallt. Zudem fällt auf, dass Paula Beer als Ellie überdurchschnittlich viele Nacktauftritte absolviert. Inwiefern die bieder inszenierte Erotik in ihrer Häufigkeit handlungsrelevant ist, bleibt unklar. Trotzdem: Gerade die streitbaren Aspekte können Diskussionen anstoßen. Darunter zählen auch die Bilder der Bombardierung Dresdens.

„Werk ohne Autor“ wirkt lange nach. Ein Clou ist, dass viele Entwicklungen und die zentralen Konflikte nie eindeutig ausbuchstabiert werden. Die zwischenzeitigen Thriller-Elemente und die Familienhölle brodeln fortwährend unter der Oberfläche. So erweist sich Donnersmarck ein zweites Mal als sicherer Geschichtenerzähler, der auf altmodische, nichtsdestotrotz effektive Weise inszeniert und punktgenaue Drehbücher schreibt. Falls solche Kinoepen irgendwann wirklich nicht mehr in den Startlisten stehen, wäre dies ein herber Verlust.

Christian Horn